Die Alten sind besser als wir glauben

Von udp
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Einer meiner Freunde ist arbeitslos geworden. Er ist 55 Jahre alt. Er war ein äußerst erfolgreicher Abteilungsleiter in der Pharmaindustrie. Er schrieb über 100 Bewerbungen und erhielt nur Absagen. Er sprach mit verschiedenen Headhuntern, die zunächst sehr interessiert waren, da seine Zeugnisse und Beurteilungen außergewöhnlich gut waren. Aber er wird wohl keinen neuen Job bekommen. Er ist zu alt. Wer die 50 überschritten hat, hat kaum noch Chancen. Allenfalls in einer „ICH-AG“.

Warum ist das so? Ein 55-jähriger hat noch etwa 10 Arbeitsjahre vor sich. Ein 30-jähriger will sicher noch Karriere machen und sieht eventuell sein Unternehmen nur als Sprungbrett für zukünftige Aufgaben in anderen Unternehmen. Wer als junger „Spund“ in ein Unternehmen kommt, der durchläuft zunächst ein recht aufwändiges Traineeprogramm. Es wird in ihn richtig investiert. Aber wie oft habe ich schon erlebt, dass jemand das Traineeprogramm gern über sich ergehen ließ, um sich dann, noch besser ausgebildet, in einem anderen Unternehmen zu bewerben.

Einer der Gründe für diesen Unsinn scheint in der Nichtbeachtung eines Modells der Freiburger Schule zu liegen. Die Freiburger Schule hat ein Modell entworfen, das sicher Grundlage war für Ludwig Ehrhards soziale Marktwirtschaft. Der tatsächliche „Erfinder“ der sozialen Marktwirtschaft war wohl Alfred Müller-Armack, Ludwig Erhard hat sie politisch durchgesetzt. Dieses Modell zeigt die Produktionsfaktoren eines Unternehmens auf.

Die Produktionsfaktoren:

Zu den Hardfacts gehören:

Die Arbeit. Sie ist der Wertschöpfungsbeitrag des Mitarbeiters.

Das Kapital. Es ist das angelegte oder anlagewillige Geld.

Der Grund und Boden. Er wurde entweder durch den Umweltverbrauch oder bei Banken durch das Anlagekapital ersetzt. Eine Bank verbraucht wohl kaum Umwelt.

Zu den Softfacts gehören:

Die Unternehmenskultur. Sie meint die Art und Weise des Miteinander-Umgehens. Der moderne Kulturbegriff wurde von Johann Gottlieb von Herder formuliert. Er meinte damit eine lebendige (beginnende, sich entfaltende und endende) Gestalt eines Sozialgebildes. Unternehmenskultur drückt aus, was in einem Unternehmen in besonderer Weise gepflegt wird; welche Leistung, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Tugend, Fachkompetenz eine besondere Bedeutung hat.

Mobilität ist die körperliche und geistige Mobilität. Die körperliche Mobilität kann passiv und aktiv erlebt werden. Ein Mitarbeiter kann versetzt werden. Allerdings sollte dies nicht gegen seinen Willen geschehen. Die geistige Mobilität bedeutet, wie gut, schnell und sicher sich jemand in neue Sachverhalte hinein denken kann.

Im Wissen kommt es darauf an, dass die nachmoderne Gesellschaft, also die derzeitige Gesellschaft, eine Wissensgesellschaft ist Es geht also um den Anteil des Produktionsfaktors Wissen an der Wertschöpfung. Und den schätze ich heute höher ein als früher. Das Gleiche gilt wohl auch für den Anteil der Dienstleistungen. Ich bin mir jedoch gewiss, dass sowohl eine Wissensgesellschaft als auch eine Dienstleistungsgesellschaft alleine nicht lebensfähig sind. Was aber ist denn nun Wissen? Wenn man den Namen Machiavelli in die Runde wirft, dann kommt oft der Spruch „Der Zweck heiligt die Mittel“, obwohl Machiavelli dies nie geschrieben (zumindest habe ich es in den Übersetzungen nicht gefunden) hat. So ähnlich geht es wohl auch Francis Bacon mit seinem „sientia est potentia“. Im Kontext gelesen muss es wohl eher mit „Macht des Wissens“ verstanden werden. Berücksichtigt man die Zeit in der Bacon lebte (Ende 1500 bis Anfang 1600), dann liegt Bacon wohl auch eher an der etymologischen Bedeutung des Wortes Macht, als wir heute. Macht: Können, Fähigkeit oder Befähigung, einen Unterschied zu machen. Also übersetzen wir „sientia est potentia“ einfach mit „Wissen als Befähigung zum Handeln“. Damit wäre dann auch der Teilaspekt, Unternehmensprobleme lösen zu können abgedeckt.

So wird das Wissen, obwohl nur softfact, zu einem erheblichen Produktionsfaktor. Es ist nicht das reine Informationswissen gemeint, das man durchaus über den Computer oder das Internet beziehen kann, sondern das für konkrete unternehmerische Situationen verarbeitete Wissen ist gemeint. Es gilt das Wissen zu aktivieren, das in der Lage ist, Unternehmensprobleme zu lösen. Diesen Faktor ruinieren derzeit viele Unternehmen. Durch Freisetzungsbestrebungen verlieren sie erhebliche Anteile ihres überlebensnotwendigen Wissens. Viele Mitarbeiter, die die meiste Zeit ihres Lebens in einem Unternehmen verbracht haben, nehmen große Mengen ihres Wissens unwiederbringlich mit.

Die Überbetonung der hardfacts und Vernachlässigung der softfacts in nicht wenigen Unternehmen kann durchaus den Unternehmensruin beschleunigen, denn nur eine Allokation aller sechs Produktionsfaktoren lässt ein Unternehmen dauerhaft erfolgreich sein.

Ein zweiter Grund liegt darin, dass Arbeit gemäß der Cobb-Doglous-Formel durch Kapital und Wissen (durch die hardfacts) substituiert wird.

Der Aufwand für Arbeit wird im Kapitalismus möglichst klein gehalten, ebenfalls die Kosten für Umwelt. Und zwar auf einem Level mit dem geringsten Aufwand für Arbeit und Umweltverbrauch. Sonst ist jeder Unternehmer im Nachteil, der für Arbeit und Umwelt Aufwand hat.

Der Unternehmer versucht nun, Kosten für Arbeit möglichst niedrig zu halten, Kosten für Umwelt herunterzufahren, und dadurch Kapital zu maximieren. Und das weltweit.

Damit ist Kapital die Ressource, die langfristig am wenigsten kostet.

In Ländern, in denen die Arbeit sehr billig ist, lohnt sich die Substitution durch Kapital nicht. Wenn darüber hinaus Umwelt ebenfalls billig ist, wird man sie ebenfalls billig nutzen.

Das Problem der westlichen Welt scheint zu sein, wenn sie noch im volkswirtschaftlichen Wettbewerb steht sollte, auch die Umwelt als freies Gut zu nutzen. Gleichzeitig wird Arbeit, wenn sie zu teuer wird, durch Kapital ersetzt. Das bedeutet Arbeit freizustellen wo es eben geht. Und wo es nicht geht, Arbeit zu exportieren. Genau das geschieht, und alle wundern sich.

So hat, bei aller Empörung, mancher Recht, wenn er behauptet, dass die Kündigung in der BRD zu schwer gemacht wird. Die Nationalökonomie wird dadurch belastet, dass der Gesetzgeber nicht jede beliebige Substitution der teuren Arbeit durch Kapital erlaubt. Und auch nicht jede beliebige Nutzung der Umwelt erlaubt. Also wandern Unternehmen in Länder ab, in denen es erlaubt ist.

Die Cobb-Douglas-Formel ist insofern wichtig, als der Kapitalismus versucht, das Optimum von Y zu erreichen. Wir, noch im Kapitalismus steckend, versuchen so weit als möglich, Arbeit durch Kapital zu ersetzen. Wenn Maschinen die Arbeit von Menschen übernehmen können, geschieht das. So benötige ich den Faktor Arbeit nicht mehr. Der globale Kapitalismus kommt mit immer weniger Arbeit aus – vor allem in den Bereichen, in denen sich neue Felder der Gewinnproduktion öffnen. Die Arbeit und die sie vertretenen Organisationen verlieren immer mehr an Einfluss und Bedeutung. Dadurch nimmt die Art der Ungleichheit neue Formen an: Arbeit Besitzende und Arbeitslose werden zu verschiedenen Klassen. Die Arbeitslosigkeit ist kein individuelles (oft nur episodisches) Schicksal sondern wird zu einem gesellschaftlichen Strukturelement. Zudem wird sich -wie gesagt- die Art der Arbeitslosigkeit ändern, weil in den Formen der ersten (durch Menschen betriebene Maschinen) und zweiten Industrialisierung (durch Energie betriebene Maschinen) auch ungelernte und angelernte Arbeit ihren Ort hatte, nicht aber in der dritten (informatorischen).

Die Arbeitslosenproblematik, die wir in der westlichen Welt haben, entsteht dadurch, dass wir präzise durch die Cobb-Douglas-Formel die Arbeit durch Maschinen ersetzt haben.

Nun ist eben nicht nur die Frage, dass ich Arbeit durch Kapital ersetze, sondern auch welche Arbeit ich durch Kapital ersetze. Genau hier schauen die Unternehmer viel zu wenig auf Wertschöpfung und viel zu sehr auf Personalkosten. Da ein älterer Arbeiter in aller Regel teurer ist, als ein junger Arbeiter, wird der ältere Arbeitnehmer entlassen. Würde nun der Unternehmer auf die Wertschöpfung achten, dann könnte er schnell feststellen, dass der Wertschöpfungsbeitrag des älteren Arbeitnehmers in aller Regel höher ist, als der Wertschöpfungsbeitrag des jüngeren Arbeitsnehmers. Aber leider achtet der Unternehmer auf die scheinbare Effektivität. Scheinbar ist Effektivität dann, wenn der Mitarbeiter der erste im Büro ist, selten krank ist, sich engagiert, als „Macher“ gilt. Diese Effektivität sagt nichts über die Wertschöpfung aus.

Die Entmenschlichung des Menschenbildes

Dahinter steht eine tiefgehende Entmenschlichung des Menschenbildes. Das Menschenbild wird funktionalisiert. Je mehr jemand in einer Funktion brauchbar ist, desto wichtiger ist er. So kommt es im Regelfall, Ausnahmen gibt es sicher, dazu, dass ab siebenundfünfzig der Mensch nicht mehr beschäftigt wird. Er gilt als senil und verkalkt. Alzheimer in Anfängen erkennbar. Solch ein Menschenbild zu haben, und sich nicht darüber im Klaren zu sein, dass solch ein Menschenbild eher verwerflich ist, ist schon erstaunlich. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass es durchaus sittlich verantwortete Entscheidungen geben kann, infolge dessen auch ein älterer Mitarbeiter entlassen wird. Die sittliche Verantwortung drückt dann jedoch in einer verantworteten Güterabwägung aus. Genau diese ist aber oft zu vermissen.

Der Jugendkult ist in seinen Konsequenzen ein Teil der Unmenschlichkeit den Älteren gegenüber. Es ist absolut töricht, zwei Trainees einzustellen, die die typischen Anfängerfehler begehen, für deren Aus- und Weiterbildung mehr als mehrere Hunderttausend Euro auszugeben, und dafür mit Einhunderttausend Euro einen älteren Mitarbeiter in die Frühverrentung zu schicken. Das Thema der Frühverrentung war einmal von der Politik gewollt, um so Neueinstellungen zu ermöglichen! Dann wurde es dem Staat zu teuer. Die Gewerkschaften pochen heute noch darauf die Altersteilzeit tariflich zu verankern, was hier und da auch erfolgt ist. Glücklicherweise hat der Gesetzgeber hier eingegriffen. Konsequent richtig wäre es sicher gewesen, dem Arbeitgeber allein die Kosten für solch ein Vorgehen allein aufzubürden.

Interessanterweise gilt dies alles für Vorstandsetagen eher nicht. Im gehobenen Führungskreis hat man erkannt, dass Vorstände etc. auch länger als bis zum 65ten Lebensjahr arbeiten sollten, „da ein längerer Nutzen des Erfahrungsschatzes, höher Kontinuität in der Unternehmensführung und Vermeidung von Know-how-Verlust“ der Benefit ist. Zu bemängeln ist, dass dies offensichtlich für den „Arbeiter“ im Industriebetrieb oder Mitarbeiter im mittleren Angestelltenbereich nicht zu gelten scheint.

Sicher ist es auch unsinnig anzunehmen, dass das Alter automatisch mit einer bestimmten Erfahrung korreliert. Der der Alterungsprozess bietet die Chance, mehr Erfahrungen zu sammeln, als jemand der jung ist. Nur der daran notwendigerweise gekoppelte Interpretationsprozess ist nicht zwingend eine Altersfrage. Das ist eher eine Frage des Intellekts, der Verarbeitungsbereitschaft, der Lernbereitschaft des Einzelnen. Derzeit ist es sicher schlimm, dass die softfacts (kreatives Wissen, geistige und physische Mobilität und Unternehmenskultur) auf null gestellt werden. Allenfalls auf die physische Mobilität wird geachtet in dem Sinne, als der weltweite Einsatz eines Mitarbeiters eine Rolle spielen kann.

Wir haben einen Kult der Jugend aufgebaut, der so weder ökonomisch, noch anthropologisch Sinn macht. Wichtig für ein Unternehmen ist, dass der Jugendkult ökonomisch keinen Sinn macht. Sich von einem 50zig-jährigen zu trennen, macht ökonomisch keinen Sinn. Die derzeitige Umgangsform von Unternehmen mit älteren Mitarbeitern sorgt dafür, dass der Trend zur Verwertung der Jugend eher immer noch zu als abnimmt. Die Unsinnigkeit dieser Vorgehensweisen liegt in dem Dogma begründet: ‚die Jugend ist prinzipiell fitter als das Alter’. Das stimmt sicher für die rein körperliche Betätigung. Diese körperliche Fitness jedoch automatisch zu übertragen auf die geistige Fitness, ist Quatsch. Das hat eine gewisse Evidenz in sich, wenn man darüber nicht nachdenkt. Es ist für ein Unternehmen sicher etwas unsinnig zu sagen: ‚jemand, der einhundert Meter schneller läuft als ein anderer Mitarbeiter ist auch sonst in allen anderen Dingen besser als sein Kollege’.

Die Wertschöpfung ist entscheidend

Entscheidend in einem Unternehmen ist eben nicht das Alter, sondern wer trägt besonders gut zur Wettschöpfung bei. Die Frage ist, wer schafft die größere Wertschöpfung aufgrund seiner Erfahrung, seinem Umgang mit den Kunden, mit dem Produkt, mit den konkreten Bedürfnissen innerhalb des Unternehmens und außerhalb des Unternehmens. Bei dieser Betrachtung schneiden die alten Menschen nicht sehr schlecht ab. Entlassen werden jedoch immer eher die alten Menschen. Dadurch berauben sich Unternehmen eines großartigen know hows.

Es gibt eine Pyramide der Wertschöpfung, deren Gipfel liegt etwa bei 50 Jahren. Das liegt an der mangelnden geistigen Beweglichkeit und der Verweigerung, Neues zu akzeptieren. Die Wertschöpfung liegt bei 50-jährigen etwa so hoch wie bei 30-jäjhrigen. Mit 60 Jahren ist die Wertschöpfung etwa so hoch wie bei 25-jährigen. Die Freisetzung von älteren Mitarbeitern ist also äußerst unsinnig. Mit einer Freisetzung riskiert ein Unternehmen die menschlichen Beziehungen, die ein älterer Mitarbeiter aufgebaut hat. Diese Beziehungen sind ökonomisch sehr relevant, da sie in Jahrzehnten gewachsen sind. Wer diese Beziehungen riskiert, muss enorme Summen investieren, um diese Beziehungen durch junge Mitarbeiter wieder gleichwertig aufbauen zu können.

UDP

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