Projekte im Reich der Papiertiger und Schreibtischtäter

Mein Beitrag zur Diskussion PM-Camp.

Ich bin Mitbegründer des PM-Camp. PM-Camp war zu Beginn eine Veranstaltung in Dornbirn. Die Wahl des Orts ergab sich aus pragmatischen Gründen (dem guten lokalen Netzwerk von Stefan auch zur Uni Dornbirn). Die Veranstaltung war als Unkonferenz für Projekt Management und verwandte Themen gedacht. Als Teil des Organisationsteam war ich beim PM-Camp in Dornbirn hautnah dabei (#pmcamp und #pmcampdor).

Von Dornbirn über Wien nach DACH

Von Dornbirn ausgehend infizierte der PM-Camp-Virus zuerst Wien, dann ganz Deutschland und Teile Europas. Es hat so richtig Spaß gemacht! Gerade wir (Eberhard, Jens, Markus, Stefan und ich) als die Veranstalter von Dornbirn hatten eine grosse Freude an den schönen Dankgrüßen, die die teilhabenden Menschen uns nach unserer Veranstaltung regelmäßig zugesendet haben.

Nach ein paar Jahren entstand openPM. Das war ein Trägerverein, der einerseits die vielen PM-Camps unterstützen und ein wenig integrieren, aber vor allem auch das Geschehen in den Camps wie auch die formulierten Ergebnisse archivieren und für alle Interessenten verfügbar machen wollte.

Das ist alles auch gut gelungen. Sogar zu Corona-Zeiten hat das PM-Camp Modell funktioniert und openPM kann sich immer noch sehen lassen.

Heute wird breit diskutiert, dass Projekte an sich, aber auch PM-Camp und der Verein openPM „in der Krise“ sind. Ich kann nicht bewerten, was dieses „in der Krise“ bedeutet, weiß aber, warum ich für das (auch mich sehr schmerzhafte Beenden) des so erfolgreichen PM-Camp Dornbirn war.

Eine wichtige Persönlichkeit bei #pmcamp war Bernard Schloss. Er ist der Initiator von openPM und hat dafür gesorgt, dass openPM funktioniert hat. Für uns war er immer ein wertvoller Wegbegleiter auf dem PM-Camp-Weg.

Das persönliche Sprachrohr von Bernhard Schloss ist seit vielen Jahren der Schlossblog. Da geht es ihm um Projektmanagement, Training und Medien.

Aktuell hat er dort ein Zwischenfazit (!) gezogen
(Zitat von Bernhard):


Mit einem Post hier und einem weiteren auf LinkedIn, aber auch in einer ganzen Reihe persönlicher Gespräche habe ich zuletzt die „Krise“ von openPM und den PMCamps thematisiert. Die rückläufige Nachfrage trotz gegenseitiger Wertschätzung (zumindest im Kern) war für mich zunächst nicht nachvollziehbar. Zeit ein kleines Fazit aus den Gesprächen zu ziehen.


Hier meine Antwort an den Bernhard

Lieber Bernhard!
Ich kann Deine Enttäuschung verstehen. Ich habe allerdings auch eine klare Meinung zu dieser aktuellen Ratlosigkeit. Deshalb war  ich auch für die Auflösung des Orgateams Dornbirn. Nach dem Ende des PM-Camp in Wien erreichten uns eine tolle Welle des Bedauerns und ein großer Dankeschön.
So ist es an der Zeit, dass ich hier meine Gründe berichte, warum ich für die Auflösung des PM-Camp Dornbirn war. Vielleicht beschreibt das ja das Dilemma, in dem wir stecken. Es beginnt mit einer mir eigenen Definition des Projektbegriffs.

Leben = (ist gleich) Projekte

Für mich ist alles, was ich im Leben mit Vorsatz und Überlegung mache, ein Projekt. Gleich ob das eine intrinsisch motivierte Aufgabe ist oder ein fremder Auftrag, den ich erfüllen muss – Alles ist ein Projekt. Ein schulisches Ziel, ein privater Konsumwunsch, die Job- oder Partnersuche, eine Unternehmensgründung, eine Statusänderung (Familiengründung, Elternschaft, Eintritt in den Ruhestand …), jeder Urlaub (Radtour, Weltreise, Erholung …) ist für mich ein Projekt. Soziale Interaktionen wie Spielabende, Unternehmungen aller Art (Theaterbesuche …), all das sind Projekte. Ich könnte die Liste von Beispielen von Projekten nahezu unendlich fortsetzen.

Damit habe ich mich von anderen Protagonisten abgegrenzt, weil für mich Projekte etwas ganz normales und alltägliches im privaten wie im beruflichen Leben waren. So habe ich auch eine

Meine Alternative Projektdefinition

Ich würde sagen, dass ALLES was passiert (gemacht wird) um Leben in seinen vielen Dimensionen zu erweitern, wenn es erfolgreich stattfinden soll, zu einem Projekt wird. Wenn eine junge Frau beschließt, Mutter zu werden (oder es wird), dann ist das für mich ein Projekt, vor dem ich immer einen Riesenrespekt habe, genauso wie für junge Menschen, die den Planeten bewahren oder retten wollen. Alles Aktivitäten – ganz gleich ob es das private  oder das unternehmerische und geschäftliche Leben betrifft, sind Projekte  (wobei für mich immer das geschäftliche und unternehmerische Leben immer Teil des privaten war und ist).

Die sozialen Systeme unserer Gesellschaft verändern sich.

Das isr klar, denn ALLES ist in Bewegung. So gilt die Veränderung für unsere gesamte Gesellschaft, also Menschen in den Familien, Gemeinschaften, Vereinen, Institutionen und für unsere gesamten Wirtschaft, den Gewerbetreibenden und Mitarbeitern in den Unternehmen und Konzernen.

ALLES wird aber auch immer mehr von Gesetzen, Regeln, Prozessen, Bürokratie, Moral, best practice … (bewusst und unbewusst) bestimmt. Zauberworte sind Compliance und Prozess. Pervertierte Anforderungen an Geheimschutz, Datenschutz und Urheberrecht gemeinsamer mit einem expliziten „Risiko Management“ und einer neuen „politischen Korrektheit“ (gendern, metoo, Verbraucherschutz, legal service, no corruption …) verschärfen die Anforderungen und beherrschen uns.

Und es gibt immer mehr

Projekte ohne Wertschöpfung.

Ein Beispiel aus dem privaten Bereich:
Wie oft höre ich den Satz: Ich kann nicht, ich muss die nächsten Wochenenden an meiner Steuererklärung arbeiten. Aber welche Wertschöpfung bringt die Steuererklärung?
Ich spare mir hier weitere Beispiele …

Substanzielle Großprojekte gehen schief!

Großprojekte fand ich immer toll. Ich selbst habe in jungen Jahren bei Start (TUI, DB, Lufthansa), ITS (DB Betrieb, Steuerung, Abrechung) und DISPOL (gesamte digitale Kommunikation der Bayerischen Polizei) mitwirken dürfen. Wir hatten da auch genug Probleme (neue Technologie, schwache Vorgaben, permanente hochdynamische Änderungen an allen Fronten …), aber auch immer Erfolge. Heute wüßte ich nicht mehr wie Projekte funktionieren sollten. Und stelle auch immer wieder fest, dass sie tatsächlich nicht mehr funktionieren.

Stellen Sie sich vor, sie übernehmen die Verantwortung für ein großes materielles Projekt. Sie sollen beispielsweise einen großen Flughafen, eine längere Eisenbahnstrecke, eine moderne Starkstromtrasse, ein großes funktionales Gebäude (Fabrik, Brücke …) bauen. Ein Projekt, dass 10 Jahre Bauzeit benötigen wird und realistisch in 5 Jahren gestartet werden kann. Wir nehmen also an Baubeginn um 2028 mit Zielfertigstellung in 2038.

Sie werden schon beim Erstellen eines Compliance-gerechten Vertrages scheitern! Wie berücksichtigen Sie das Inflations-Problem? Wie die technischen Veränderungen? Und wie die zahlreichen schwarzen Schwäne (disruptive Ereignisse wie Krieg, Umweltereignisse, gesellschaftliche Veränderungen …), die in den  nächsten 15 Jahre drohen?

BANKEN und VERSICHERUNGEN

Auch da sehe ich fast nur noch kritische Projekte. Es geht oft um Projekte, die neue Produkte implementieren soll oder die Situation im Risiko Management verbessern soll. Meistens geht es um Bafin-Regulierungen, die man anders gestalten will, um die Vorgaben optimaler für das Unternehmen zu machen. Oft durch eine präzise Vorhersage der Zukunft. Man nennt das Riskio-Management und glaubt, dass die Mathematik in der Lage ist, die Zukunft präziser vorher zu sagen. Eine kühne Annahme, in einer Welt, die immer unberechenbarer wird, da die höhere Veränderungsgeschwindigkeit höhere Disruptivität mit sich bringt. Dazu kommt:

„Immaterielle“ Projekte funktionieren nicht!

Das für  für gilt besonders für die Investitionen in Organisations-, Kultur, Image- oder Compliance-Projekte. Tolle Berater verdienen hier viel Geld. Von mir sehr geschätzte Unternehmer behaupten – mir scheint nicht zu Unrecht – dass schon das Erfinden solcher Projekte reiner Unsinn sind. Die einen wollen agiler werden, die anderen lean! Immer bestehen die Ziele aus buzzwords. Profitieren tun nur die Berater, die schöne Geschichten erzählen können. Die Umsetzung in den Unternehmen und bei den Menschen gelingt selten.

Klar, solche Projekte kann man machen. Man wird auch Ergebnisse bekommen. Nur was sind die wert? Meistens NICHTS! Positiv ist nur, dass man an Erfahrung gewinnt, dass es so nicht geht.

Das gilt auch für die meisten Projekten zur Sicherung von Qualität und Verbesserung von Prozessen. Auch da hilft nur die kompetente und empirische Arbeit in Bescheidenheit an den Details.

So zweifele ich immer an „immateriellen Investitionen“. Meistens rechnen die sich nicht. Und bringen schöne Worte und Bilder. Und man kann dann noch mehr teure Projekte machen, die belegen, dass sie sich das neue Design rechnet. Obwohl in Wirklichkeit nur Strukturen im Unternehmen zerstört worden sind, weil die Flexibilität durch weitere Vorgaben reduziert und der verbliebene kreative und produktive Flow zerstört wurde. Als Erfolg werden die Projekte trotzdem gefeiert.

Das erscheint mir das Hauptproblem der deutschen Wirtschaft. Unsere Projekte dienen überwiegend dazu, Compliance Modelle immer filigraner und mächtiger auszugestalten und mit zusätzlichen Balast wie Geheim- und Datenschutz zu belasten.  So wird der Unternehmenskosmos wie auch der unserer Gesellschaft immer aufwändiger und starrer. Dies geht zu Lasten für die Zukunft!  Notwendige Fähigkeiten wie Resilienz und Antifragilität gehen verloren (und sind schon verloren gegangen). Dabei sind die Fähigkeit zur Veränderung für unsere Zukunft so wichtig!

Andere wollen die Wahrheit finden, in dem sie sich Metastudien als Projekte ausdenken, die möglichst viele Sekundärstudien nutzen, um die Wahrheit rauszufinden. Zum Beispiel um die Schädlichkeit von Glyphosat objektiv herauszufinden? Das ist doch genauso lächerlich, wie die Ziele der Zunft der Modellierer, die mit „mathematischen Methoden“ die Zukunft für Versicherungen ermitteln will. Weil es nicht geht!

In einer solchen Welt, wo man es wegen der vielen Sachzwänge und unsinnigen Annahmen keine Handlungs- und Bewegungsfreiheit mehr hat, machen Projekte und unternehmerisches Arbeiten – natürlich – keinen Spaß mehr.

Fast alles geht vom Home Office

Fast alle wichtigen und gut bezahlten Tätigkeiten können aus dem Home Office gemacht werden. Obwohl ich absolut dagegen bin, die Menschen nach Corona wieder ins Büro zu zwingen, sehe ich das Überhandnehmen von home office ziemlich kritisch. Der Wertbeitrag wird so immer immaterieller, also weniger substantiell. Und es steht eine neue Art von Hamsterrad-Kultur ins Haus, mit der man an sich unsinnige Arbeit leichter akzeptieren kann.

Die meisten Sachverständigen, die ich persönlich kenne, machen die Beurteilungen ihrer Schadensfälle in der Regel vom home office aus, mit Hilfe von Bildern und Kurzbeschreibungen. Sie machen das  ganz gut. Aber ihnen ist sehr wohl bewußt, dass sie da ihre Grenzen haben.

So erscheint mir die heutige Praxis, dass wir fast alle Arbeit remote erledigen, ein Index und Hinweis zu sein, dass wir überliegend sinn-entlernte Projekte machen, die nur  Selbstzweck sind, die aber kaum wertschöpfend wirken.

Ihn unseren Unternehmen – wie in unserer Gesellschaft – haben die

Papiertiger und Schreibtischtäter

die Macht übernommen.

Auf der Suche nach Sicherheit und Shareholdervalue folgen sie bedingungslos fragwürdigen Compliance-Anforderungen. Im Namen der Gerechtigkeit mehren sie Überregulation. Dies explodiert förmlich und dominiert das Leben in den Unternehmen und somit auch die Projekte. Dabei bleibt die Wertschöpfung und der Mensch auf der Strecke – und als Folge verliert die europäische und besonders deutsche Wirtschaft und ihre Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit.

Ich bewundere die deutschen Top Manager. Sehe ich sie auf ihren privaten Baustelle, dann überzeugen sie mich. In ihren Unternehmen sind sie, die vieles so gut können und wissen, von Bürokratie und Compliance oft so gelähmt wie die Maus vor der Kobra!

Und deshalb macht das „MACHEN“ den Unternehmern in den Unternehmen keinen Spaß mehr. Sie kündigen innerlich und ziehen sich zurück. Die Lücken füllen Funktionäre und Systemagenten. Die produzieren aber keinen Mehrwert sondern Regeln und Gesetze. Wie die Politiker, Politiker, Funktionäre und Systemagenten braucht PM-Camp nicht sie sich auf einer Unkonferenz nicht wohlfühlen wie PM-Camp es ist.

Ja – und ich habe in Dornbirn unter anderem gelernt, dass Projekte in einer Sackgasse stecken – und da PM-Camp auch nichts ändern kann und wird. Und vermute mal, dass man auch den Planeten nicht mehr retten können wird. Irgendwie rennt die Menschheit in die eine falsche Richtung. Dazu zwei unterschiedliche Beispiel – die Zeitenwende weg vom Frieden und den Ausbau von immer mehr und mehrspurigen Autobahnen in Deutschland.

RMD

 

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2 Antworten

  1. Lieber Roland,
    danke für deinen ausführlichen Beitrag.
    Vorneweg: Ich bin nicht „enttäuscht“, sondern verwundert und suche Erklärungen.
    Dass mittlerweile vieles, fast alles als Projekt gesehen werden kann, da bin ich ganz bei dir. Und der Umgang mit Projekten (früher hätten wir es Projektmanagement genannt) wird ganz selbstverständlich erwartet, so gestern eine Stimme auf unserer openPM Mitgliederversammlung.
    Aber weil diese Entwicklung auch viele überfordert und teilweise auch frustriert (du sprichst hier Projekte ohne Wertschöpfung an), würde ich erwarten, dass es Diskussionsbedarf gibt und ich frage mich, wo diese Diskussionen hingewandert sind, denn ich sehe sie kaum mehr. Ich habe nicht den Anspruch, dass dieser Diskurs da passieren muss, wo wir es gerne hätten, aber ich hätte erwartet, dass er sich ggf. neue Formen und Wege sucht.
    Unsere gestrige openPM-Runde war wieder ein „Klassentreffen“ und ein positives Zeichen, dass Austausch weiter gewünscht wird, aber wir müssen darüber nachdenken, was zeitgemäße Formen dafür sind und wie wir potentiell Interessierte erreichen und richtig ansprechen. Dafür scheint das Etikett „Projekt“ und schon gar nicht das Etikett „Projektmanagement“ aktuell geeignet.
    Es bleibt spannend.
    Gruß
    Bernhard

  2. Nur eine kurze Antwort:
    Ich glaube, dass ist das Leiden der neuen Zeit.
    Auch die Diskussionen zur Lage der Welt (Ukraine, Israel …) und unseres Planeten (Klima, Oceane, Boden, Vermüllung …) enttäuschen mich.

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