Zurzeit weile ich in China. Und schau mir an, wie da die Dinge so sind. Und muss sagen, die Dinge sind in China zum Teil extrem anders. Was ich so sehe, stellt einige meiner Selbstverständlichkeiten schwer in Frage. Und manches meiner Glaubens-Muster wird ziemlich radikal zerbrochen. Ich kann das alles gar nicht so schnell formulieren wie es mich erwischt hat.

Ich fühle, dass die Zeit, in der unsere „Leitkultur“ von den USA – God’s own country – definiert wurde, vorbei ist. Wie war das doch vor 20 Jahren? Wir waren in den USA und wußten, dass das was wir dort erlebten zehn Jahre später in Deutschland ähnlich sein würde.

Doch die Vorherrschaft der USA geht zu Ende – die Frage ist für mich nur noch, ob das „preußische China“ die USA ablöst oder ob das „chaotische“ Indien da noch kräftig mitmischen wird. Nach meinen Erlebnissen in Mumbai im letzten Frühsommer und jetzt in Peking, Pengyao, Xi-an und weiteren Städten tippe ich aktuell mehr auf China.

Hoch die GREAT WALL mit Käppi nach hnten.
Die GREAT WALL hoch, Käppi nach hinten.

Aber sei es darum, China ist sicher das Land der Mauern. Historisch wie heute, auch im Internet. Dort macht es jetzt dem russischen und weiteren Regimen vor, wie das digitale Mauerbauen geht.

Angeblich gibt China für seine Aktivitäten zur Zensur mehr Finanzmittel aus und setzt dafür mehr Personal ein als für seine Armee. Das klingt unglaublich, ist aber durchaus vorstellbar. Der Gedanke allein hat schon etwas und Zensur ist aufwendig.

So schaue ich mir auch diesmal wieder die große Mauer an. Und kraxle ein wenig auf ihr herum. Und erkläre mir das mit der GREAT WALL so:

Da gibt es eine große chinesische Community (Nation, Reich, Volk, wie auch immer man das nennt). Die hat sich über lange Zeit organisiert und ihre Ordnung gefunden. Durch die Jahrhunderte ist sie groß und mächtig geworden. Mitte des zweiten Jahrtausend hat sie festgestellt, dass die Ordnung um ihren Herrschaftsbereich herum eine andere ist als die eigene. Die Veränderung, die rings herum stattfindet, wurde als Bedrohung empfunden. Also wurde eine Mauer gebaut.

Ist es heute nicht genauso?

Letzen Endes war (und ist) das Ziel der Mauer, die eigene Ordnung zu schützen. Und das ist China mit der GREAT WALL wohl auch gelungen. Jetzt ist es müßig nachzuforschen, ob der Bau der großen Mauer für China kurz-, mittel- und langfristig nützlich war. Ob die Mauer es geschafft hat, die Werte zu bewahren, die es wert waren, bewahrt zu werden. Dies und die Nützlichkeit dürften doch das wichtigste Argument für solche Entscheidungen wie einen gigantischen Mauerbau mit großen Folgen sein.

Chinas Smog und Dunst macht vor der GREAT WALL nicht halt.
Chinas Smog macht vor der GREAT WALL nicht halt.

Ich nehme mal an, dass die große Mauer kurzfristig für China sehr nützlich war. Sie bewahrte die Stabilität des Riesenreiches und machte es so noch mächtiger und reicher.

Aber dass der Nutzen der Mauer nachhaltig war, bezweifle ich. Könnte es sein, dass die Mauer langfristig wesentliche Nachteile mit sich brachte? Dass sie zwar half, eine alte Ordnung zu bewahren, aber das Land als Folge davon immer schwächer wurde? Weil die Dynamisierung zum Erliegen kam. Und China so die Kraft für Zukunft ausging.

Und vielleicht wäre China ohne GREAT WALL Jahrhunderte später nicht in diese unfassbare Schwächephase eingetaucht, aus der es sich erst mit der blutigen und grausamen Revolution eines Mao-tse-Tung über sehr komplexe und schmerzhafte Wege zu befreien wußte?

Und vielleicht hätte es ohne Mauer dann auch keine so radikale Kulturrevolution als Spätfolge gegeben, die schnurstracks in einen überbordenden und oft pervers anmutenden Turbo-Kapitalismus gemündet hat.

Mit einer dem Streben und Handeln einzigen zugrunde liegende Erfolgsmetrik – der Gier nach Reichtum und der Jagd nach Geld?

Und wahrscheinlich wird das mit den chinesischen (und russischen und sonstigen) Mauern im Internet auch mal so sein, dass sie ganz eigene Effekte haben werden, von denen wir heute gar keine Ahnung haben? Und denen am meisten schaden werden, die heute meinen, davon zu profitieren?

Diese Gedanken zu Mauern, Angst und Xenophobie gehen nicht nur Diktaturen an. Auch Noch-Demokratien, wie sie vereinzelt in Europa und der EU hoffentlich noch zu finden sind, sollten mal darüber nachdenken, ob es langfristig wirklich Sinn macht, Mauern zu bauen. Und so bringt mich die große Mauer wieder auf den Gedanken, dass Transparenz und Offenheit der bessere Leitstern ist.

Solche Gedanken berühren mich im beginnenden Zeitalter der Naturkatastrophen und der daraus folgenden Konflikte und Migration ganz besonders.

RMD

 

Eine Antwort

  1. Hallo Roland
    Interessante Betrachtung der Mauerfrage.
    Zunächst gab es in China drei Mauern, weil drei Reiche, die sich gegenseitig abgrenzten und bekriegten. Der legendäre Kaiser Chin, heute Quin, vereinigte vor zweitausend Jahren die drei Reiche und baute die sagenhafte „Chinesische Mauer“’ von 10.000 Li Länge im Norden, um das Reich vor den Steppenvölkern, den Hunnen, zu schützen.
    Was unterschied die Steppenvölker von den sesshaften Chinesen? Die Kriegsart und der Umgang mit den Besiegten. Im Klartext, diese Steppvölker überrannten beritten die Gegner, töteten sie und zerstörten jegliche Art von Bauten und Kultur. Wir kennen das heute unter dem Namen der Hunnen- und Mongolenstürme. Der verheerendste Sturm war der letzte im vierzehnten Jahrhundert. Allerdings waren es nicht die Mongolen unter Dschingis-Khan, sondern die moslemischen Usbeken unter Tamerlan, die dem gesamten Orient den Garaus machten und einen Völkermord geschichtlichen Ausmaßes anrichteten. Mesopotamien hat sich davon nie wieder erholt und das neue Machtzentrum verlagerte sich mit den einfallenden Turkvölkern, die ebenfalls vor den Usbeken flohen, nach Konstantinopel, dessen Mauern keinen Schutz mehr vor den Riesenkanonen der Türken boten.
    Was folgt daraus? Wenn Mauern fallen, geht ein Ära oder Kultur unter.
    Nun hängt es von den Siegern ab, wie die Geschichte weitergeht.
    Entweder wird zerstört, gemetzelt und wieder verlassen, was überrannt wurde, so wie es die Steppenvölker taten, die auf einer deutlich niederen Kulturstufe standen oder aber es geht gut aus, wie mit Konstantinopel und den Araberstürmen des sechsten Jahrhunderts über Afrika nach Spanien.
    Die Sache steht gut, wenn die Sieger die höhere Kultur der Besiegten übernehmen. Beides geleitete die Reitervölker der Araber und Türken zu einer beispiellosen Blüte in Wissenschaften, von Medizin bis zur Astrologie, weil schon bestehendes übernommen und die besiegte Kultur integriert wurde.
    Diese positiven Aussichten bestanden für das spätere Han-Volk vor zweitausend Jahren nicht und die Himmelssöhne schützen sich effektiv, bis sie dann doch im dreizehnten Jahrhundert unter den mongolischen Kublai Khan fielen, was ihre Kultur jedoch nicht zerstörte, aber die Himmelssöhne wurden systematisch von den Mongolen diskriminiert. Das führte fast zur Halbierung des chinesischen Volkes.
    Mauern schieben Prozesse hinaus und verhindern Anstürme von Barbaren, die oft die Unterlegenheit durch Masse ausgleichen.
    Jede Mauer ist ein neues Experiment.
    Beispiellos großartig ist die Europäische Idee, etwas hinter einer Mauer zu ändern zu versuchen. Das könnte gelingen, wenn man früh genug anfängt.

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