Gesetzgebung kaputt – Rechtsstaat ade?

Über Twitter, Google+ und Facebook bekomme ich immer wieder wichtige Artikel zugesandt. Die Quellen sind die SZ, die NZZ, der Spiegel und viele andere wie auch der lustige Postillon. Besonders gute Artikel kommen oft von der Zeit. Da war vor kurzem ein Artikel zu sexueller Gewalt und dem Sexualstrafrecht dabei.

Justitia (Maarten van Heemskerck, 1556)
Justitia (Maarten van Heemskerck, 1556)

Der Autor ist Thomas Fischer. Er ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. Weitere Artikel seiner Kolumne finden sich hier und ergänzende Informationen auf seiner Website.

Den angesprochenen Artikel zum Sexualstrafrecht muss man unbedingt lesen. Ich dachte immer, dass es eine schöne Vision wäre, wenn die Bürger sich aus der Einsicht, dass die Gesetze allen nutzen, sich freiwillig unter diese begeben würden.

Der Artikel hat mir klar gemacht, dass dies zu einer schönen aber in unserem Land unmachbaren Utopie geworden ist, von der wir beliebig weit entfernt sind und uns immer weiter entfernen.

Thomas Fischer beschreibt in seinem Artikel warum und wie Gesetze gemacht werden. Er zeigt auf, dass diese von den Bürgern gar nicht mehr verstanden werden können. Nur sollen wir Bürger doch letzten Endes ja über diese entscheiden (und wollen dies vielleicht auch)?

Der Artikel zeigt auch auf, dass sich die Ziele der Legislative von gesellschaftlicher Notwendigkeit komplett entfernt haben. Und die Ergebnisse vielleicht deshalb vernichtend sind. Ich zitiere Thomas Fischer:

Den schönsten Satz des Tages sprach die Vorsitzende des Ausschusses, Renate Künast: „Wir“, sagte sie (sinngemäß), „sind dazu da, ein in sich schlüssiges System des Strafrechts zu schaffen. Für die praktische Umsetzbarkeit sind wir nicht verantwortlich.“

Kann das sein, dass die „Legislative“ sich nicht mehr für die Nöte der „Judikative“ interessiert und diese im täglichen Schlamassel von widersinnigen und widersprüchlichen Gesetzen hängen lässt? Wie auch die Betroffenen – uns Bürger?

Wenn ich mich an meine „unternehmerische“ Vergangenheit erinnere und mir wieder einfällt, wie viel Unpraktikables und Widersprüchliches in den Gesetzen wie Betriebsverfassungsgesetz, Betriebsstättengesetz, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, Arbeitszeitgesetz und viele mehr drinsteckt, dann weiß ich, dass es zum Verzweifeln ist. Auch die Gründe für die Erweiterung vorhandener und dem Erfinden neuer Gesetze werden immer seltsamer.

Im Beitrag von Thomas Fischer geht es ums Sexualstrafrecht. Hier dazu wieder ein Zitat aus dem Artikel:

Artikel 36 der Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt fordert von den (58) Mitgliedsstaaten unter der Überschrift „Sexuelle Gewalt“, jegliche Form von sexuellen Handlungen „gegen den Willen einer Person“ unter Strafe zu stellen. Deutschland hat die Konvention unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert und in innerstaatliches Recht umgesetzt.

Sie ist nach Ratifikation durch zehn Staaten im Jahr 2014 in Kraft getreten. Seither ist in Deutschland streitig, ob unser Strafgesetz den Anforderungen dieser Konvention schon genügt oder ob es ein weiteres Mal ausgeweitet werden muss …

Eine Mehrheit derjenigen Sachverständigen, die sich bisher geäußert haben, vertritt die letztgenannte Ansicht: Es existierten gesetzliche Schutzlücken. Die Minderheit meint, dass unsere Gesetze durchaus ausreichen (zu dieser Minderheit gehöre ich selbst).

Die Begriffe „Mehrheit“ und „Minderheit“ beziehen sich hier freilich auf eine mikroskopisch kleine Gruppe von Personen, die professionell mit dem Sexualstrafrecht befasst sind. Selbst unter ihnen ist streitig, was heute schon geregelt ist und was nicht. Die meisten Menschen in Deutschland wissen überhaupt nicht, wovon die Rede ist.

Und jetzt soll wegen einer solchen Verordnung ein mächtiges Gesetz neu gemacht werden, das wahrscheinlich noch schwieriger auszulegen sein wird als die Variante davor. Und sachlich wird sich frustierender Weise gar nichts ändern.“

Als ich diesen Artikel gelesen habe, wurde mir noch mehr bewusst, dass so Staatsverdrossenheit weiter zunehmen wird. Die Gesetze und das Einhalten derselbigen verlieren so ihren hohen gesellschaftlichen Wert. Ich verstehe immer besser, warum so viele Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren und nicht mehr zum Wählen gehen.

Aber es kommt noch viel schlimmer. Ich gehe mal davon aus, dass das Sexualstrafrecht den tatsächlichen Gesetzgebern, nämlich den mächtigen Lobbyisten, ziemlich schnurz ist. Da fallen mir höchstens die christlichen Kirchen, islamische Interessens-Gruppen und vielleicht Gruppierungen von FrauenrechtlerInnen ein. So kann man hoffen, dass bei der Erstellung dieses Gesetzes Juristen mitwirken, die zumindest noch das Beste für die Menschen im Sinne haben.

Denke ich aber an Gesetze mit wirtschaftlichen „Impact“, dann wird es noch schlimmer. Formal sind die wohl genauso schlecht und widersprüchlich, zusätzlich stammen wesentliche Teile dieser Gesetzestexte aus den Federn der Juristen der Lobbyisten. Wie das Richard Gutjahr mit Lobbyplag nachgewiesen hat.

Ich muss an Alt-Bundespräsident Roman Herzog denken. Der soll ja vorgeschlagen haben, dass man zuerst mal die Gesetze mit den ungeraden Nummerierungen abschaffen sollte. Wenn dann etwas vermisst werden sollte, das könne man ja wieder ein einfaches und minimales neues Gesetz machen. Und dann sich an die mit den ungeraden Nummern machen.

Aber vielleicht die Marginalisierung der Gesetzgebung gerade evolutionär so statt, nur ganz anders als Roman Herzog sich dies vorgestellt hat. Nach dem Motto: Je mehr Terabyte an Gesetzen wir produzieren desto weniger scheren wir uns drum.

RDM

P.S.
Ich habe übrigens lernen müssen, dass viele junge Menschen die Begriffe „Exekutive“,“Legislative“ und „Judikative“ gar nicht mehr kennen. Demokratie ade?

P.S.2
Das Bild ist aus Wipedia – „Iustitia van Heemskerck“ von Maarten van Heemskerck. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Iustitia_van_Heemskerck.png#mediaviewer/File:Iustitia_van_Heemskerck.png

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Eine Antwort

  1. Der Abgeordnete (Politiker) schwört:
    „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden etc……
    „deutschen Volkes“ muss natürlich durch Lobbyisten ausgetauscht werden,
    dann versteht man das gleich viel besser.
    Einfach mal für sich selbst laut vorlesen, das beeindruckt gleich ganz anders.

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