Erkenntnis gewinnen durch Fahnenbildung (Dialektik)

In den 80iger und 90iger Jahren habe ich an einigen Seminaren von Rupert Lay teilgenommen. Dort habe ich das Werkzeug der Fahnenbildung kennen gelernt. In verschiedenen Gruppen gemeinsam mit (nicht nur) mittelständischen Unternehmern wie auch mit Top-Managern internationaler Konzerne habe ich erlebt, wie man mit diesem Werkzeug enormen Erkenntnisgewinn generieren und daraus auch ganz konkrete zur Zielerreichung notwendige Aktionen und Handlungen ableiten an.

Auch in Wikipedia ist die Technik der Fahnenbildung beschrieben. Der Artikel zur Fahnenbildung in Wikipedia beschränkt sich auf die knappe Beschreibung dieser dialektik-basierten Methode, schildert aber nicht die praktische Anwendung und den Nutzen dieser Technik. Deshalb will ich hier kurz berichten, was mich an der Methode so beeindruckt hat und wie ich sie erlebt habe.

Erkenntnisgewinn entsteht, wenn Menschen zusammenkommen, um ihr Wissen und ihre Erfahrung austauschen.

Im klassischen Griechenland wurde der Grundstein unserer westlichen Philosophie gelegt. Dialektik war das „technische Werkzeug“ der Philosophen. Gearbeitet wurde in Gesprächsformen wie im Diskurs oder in einer Debatte. Die Fahnenbildung ist eine strenger formalisierte dialektische Technik, die ursprünglich zum Erarbeiten von vernünftigen Übereinstimmungen (dem Schaffen eines rationalen Konsens) in Gruppen diente.

Der Ausdruck „Fahnenbildung“ wurde benutzt, da die gemeinsam ausformulierten Bedingungen zu einer möglichst einheitlichen und folgerichtigen Liste zusammengefügt werden, der sogenannten homogene Bedingungsliste. Solche Listen wurden in der römischen Dialektik „Fahnen“ genannt.

🙂 Ich habe mir immer eine Schnur vorgestellt, an der die gefundenen Bedingungen wie kleine Fähnchen hängen und im Wind der Erkenntnis flattern.

Die Bildung einer solchen Fahne erfordert sehr viel Disziplin in der Gruppe und eine präzise (philosophische) Ausbildung aller Teilnehmer betreffend der Bedeutung von Sprache und ihrer Begriffe. Da dies heute mehrheitlich nicht mehr gegeben ist, ist für eine gelingende Fahnenbildung immer ein strenger Moderator notwendig, der diese Qualität stellvertretend für die Teilnehmer einbringt und diese durch den Workshop führt.

Ich habe an mehreren Seminaren zur Fahnenbildung teilgenommen. Ziel war immer, ein konkretes Problem eines der Teilnehmer zu verstehen und wenn möglich zu lösen.

Hier ein paar Beispiele:

  • Das schlechte Image eines Discounters,
  • Die Suche nach neuen Formen von Urlaubsangeboten eines großen Reiseanbieters,
  • Die eingefahrene aber negative Firmenkultur bei einem Mittelständler der Metallverarbeitung oder
  • Probleme im Führungskreis eines großen Pharmazie-Konzerns
    und manches mehr dieser Art.

Im Seminar wird als erster Schritt versucht, dieses Problem so sauber zu formulieren, das es von allen Teilnehmer verstanden wird. Dies zu erreichen ist schon eine erste, großartige Leistung. Oft kommt es schon hier zu etwas Erstaunlichem – der Problem-Inhaber erfährt, dass er in Wirklichkeit ein ganz anderes Problem hat und lösen möchte als das er gerade noch gemeint hatte.

Wenn das Problem halbwegs vernünftig erfasst ist, versucht man, einen das Problem betreffenden Syllogismus zu finden, der das Problem beschreibt. Dieser Syllogismus wird auf „Wahrheit“ in der Begrifflichkeit, den Aussagen und auf formale Korrektheit überprüft. Das klingt sehr einfach. Es ist alles andere als trivial, einen inhaltlich und formal korrekten Syllogismus zu bilden.

In der Regel verändert sich der Syllogismus in diesem Prozess der Überprüfung sehr stark, oft hat das Konstrukt am Ende der Arbeit wenig mit dem zu Beginn gemein.

Durch die permanente Prüfung entstehen Listen von Bedingungen, die für das Erreichen des Zieles relevant sind.

Hilfreich ist in diesem Prozess das formulieren von Bedingungen:

Ja, die Behauptung stimmt, aber nur dann wenn …

Jetzt wird geprüft werden, ob diese Bedingungen tatsächlich notwendig oder vielleicht nur nützlich sind. Es erfolgen Zusammenfassungen, Neuordnungen, Veränderungen …

Im Rahmen solcher formalisierter und sprachlich kontrollierter Denkprozesse entsteht immer wieder erstaunlicher Erkenntnisgewinn. Und je größer der Fortschritt, desto besser das Verständnis in der Gruppe. Ein Prozess, der sich oft wunderbar verstärkt und zu manchem Aha-Effekt führt.

In einigen Seminaren habe ich einen magischem Moment erlebt. Der entsteht, wenn die notwendigen und nützlichen Bedingungen plötzlich in den Hintergrund treten, weil eine für die Lösung des Problems hinreichende Bedingung gefunden wird.

Dann wird es plötzlich auch sehr viel einfacher, Maßnahmen und Wege zur Lösung des Problems zu finden. Und man geht gestärkt und mit vollem Herzen aus dem Seminar hinaus und weiß man zu tun hat. Und das hat dann meistens ganz gut geklappt. Besonders gut, wenn das an der Problemlösung arbeitende Team gemischt (jung/alt, männlich/weiblich) und interdisziplinär war.

Aber auch für die Fahnenbildung gilt: Der Weg ist das Ziel. Der Weg ist zwar sehr anstrengend, aber der erreichte Erkenntnisgewinn und die Ergebnisse lohnen die Mühe.

RMD

P.S.
Genauso einen Workshop starten wir am 26. Januar, dem Tag nach dem Vortrag von Klaus-Jürgen im IF-Forum um 10:00 bei uns in Unterhaching.

Das Thema ist:
Wie bringen wir die IF-AGORA.de nach vorne? Wie können wir ausreichen Wissensanbieter gewinnen und soviel Umsatz generieren, dass Menschen, die für IF-AGORA arbeiten davon leben können.

P.S.1
Hier mein Beispiel für eine hinreichende Bedingung:

Das Problem ist/war meine eigene Unzufriedenheit. Wie kann ich meine Zufriedenheit erhöhen? Dazu habe ich meine hinreichende Bedingung gefunden:
Genau dann, wenn die Basis meiner Bedürfnisse in der Summe ein klein wenig erfüllt ist und ich willens und in der Lage bin, mein eigenes wie das Leben meiner Mitmenschen in vielfältigen Dimensionen zu erweitern, bin ich zufrieden.

P.S.3
Von Rupert Lay gibt es bei Amazon gebraucht ganz billig ein Büchlein „Dialektik für Manager“. Da steht dann noch viel mehr auch zu allen Formen von Dialektik, Syllogismen und auch Fahnenbildung drin.

3 Antworten

  1. If this technique is so good, why not make it available to the World? The serious problems these days are global. The Americans, and surely the English should not just be regarded as competitors, or even enemies, (except at football). Can nobody produce an English version of the wikipedia article? Can nobody even produce an English translation of the word „Fahnenbildung“? I find it strange that neither the Greek nor the Latin word for this technique of ancient European philosophy gets mentioned. „ars construendi vexilla“ seems a bit clumsy. I can help with the English, but do not feel qualified to write the article. Word for word translation is (almost) never enough.

    I must admit to being a bit sceptical. Although I enjoy philosophy, I think that the scientific process of „try it and see“ produces faster progress than does intense discussion. The middle ages are not noted for having been a period of rapidly advancing knowledge in Europe; (although things were not as bad as often believed).
    Of course, one can argue that the World now needs stability, rather than a rush of progress towards disaster.

    I have a problem with the descriptions I have seen. Conditions, „Bedingungen“, need to be limited, (conditions for something). One must decide which conditions are relevant. But it seems that the problem addressed can change its nature during the discussions. Until the problem becomes fixed, one cannot know what is relevant. This seems to defeat the idea of first agreeing the conditions, before deciding about the problem. Can somebody correct me if I have misunderstood?

    P.S. I am glad to see that the wikidedia article has improved since I last looked at it. But I suspect an error in the sentence „Als erster Fahnen konstruiert zu haben, wird Platon wird zugeordnet“. If it is wrong, can somebody correct it?

  2. Lieber Chris, wäre das nicht eine Aufgabe für Dich (make it available to the World)

    Danke auch für den Tippfehler.

    Jeder kann ihn ändern, ich mache es dann gleich.

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