Auf welchem Menschenbild baut moderne Führung auf?

Betrachte ich nicht nur große und börsennotierte Unternehmen, dann gewinne ich den Eindruck, dass die Führungsebene von sehr eigenartigen Glaubenssätzen (basic beliefs) auszugehen scheint. Ich formuliere 8 Thesen, die ich bei meinem Streifzug durch Unternehmen entdeckt habe und die dort anscheinend gültig sind.

These 1:

Mitarbeiter können über „Championing“ motiviert werden (”best in class”)!

Stellt man die Frage „Wie kann man Mitarbeiter heute motivieren?“, ist diese Antwort die häufigste. So hört man dann auf Motivationsveranstaltungen für die Mitarbeiter Aussagen wie “Wir sind die besten – wir sind die Nummer 1”. Oder “Das Ziel ist Platz 1!” oder „Man kann im Geschäft nur bestehen, wenn man weltweit die Nummer 1 oder 2 ist“. So jagen sich die Firmen gegenseitig, ob bei den Computern oder Autos. Aber wehe, man ist die Nummer 1 – zu schnell geht dann der Katzenjammer los nach dem Motto: Jetzt wird es schwer, den Platz zu verteidigen.

Meine Empfehlung:

Bin da eher skeptisch – ist vielleicht ab und zu hilfreich, aber bitte nicht zu oft anwenden.

These 2:

Mitarbeiter sind durch Design und Marketing beeinflussbar.

Wenn eine Firma zu neuen Ufern aufbrechen will, dann gibt es zuerst mal ein neues Logo, eine neue Firmenfarbe, eine neue “elevators speech”. Es wird versucht, die Identifikation des Mitarbeiters mit seinem Unternehmen durch ein schönes “Corporate Identy” zu schaffen. Ich glaube, mit solchen Maßnahmen kann nur eine oberflächliche Identifikation erreicht werden. Groß ist die Gefahr, dass eine Fan-Kultur generiert wird mit situativem Schwanken zwischen “Himmelhoch Jauchzen” und “Zu Tode betrübt”. Um eine gesunde Identifikation zu schaffen, braucht man aber mehr als nur schönes Design, nämlich eine funktionierende und wertebasierte Unternehmenskultur.

Meine Empfehlung:

Design schadet nicht, bringt aber auch nicht viel.

Aber: SchickiMicki ersetzt keine Unternehmenskultur

These 3:

Mitarbeiter kann man mit klugen Sprüchen beeindrucken.

Wie oft finden wir Tafeln mit tollen Sprüchen in Aufzügen und Fluren von großen Unternehmen. Schon an der Pforte empfängt uns der Firmenkalender mit dem Motivationsspruch des Monats. Es gibt schlechtere und bessere Sprüche.

Sicher klingen intelligente Metaphern oft ganz gut:

Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.” (Antoine de Saint-Exupéry)

Nobody is perfect, but a team can be.“ (McKinsey)

Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“ (Seneca)

oder auch

Train the fish to jump into the boat.“ (Das ist aktuell mein aktueller Lieblingsspruch zum Thema Vertrieb)

Gute Sprüche – in homöopathischer Dosis – können der Selbstmotivierung und Zielsetzung dienen.

Schlechte Sprüche haben oft verheerende Folgen. Wenn man im Aufzug liest:

Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt

und die Mitarbeiter dies mit

und da steht er im Wege!

ergänzen, dann ist das nicht so toll.

Also bitte keine Weisheiten zur Unternehmenskultur an die Wände hängen!

Meine Empfehlung:

Gute Sprüche nur im direkten Gespräch oder Vortrag verwenden.

These 4:

Mitarbeiter sind unmündig.

Unternehmen scheinen ihre Mitarbeiter für unmündige Menschen zu halten. Viele Instanzen kümmern sich um ungefragt um die lieben Mitarbeiter. Nicht nur Vorgesetzte und der Gesetzgeber sondern auch Betriebsräte, der Werkschutz (bzw. die moderne outgesourcte Variante) und neuerdings auch gerne die Systemadministration. Da gibt es Passwort- und E-Mail-Regeln.

Und oft genug kommt Absurdes raus. Z.B. erleichtert eine durchgesetzte Passwortregel (mindestens 1 Großbuchstabe und ein Sonderzeichen) das Passwort-Knacken, da eine solche Policy natürlich den Passwortraum einschränkt. Aber das ist sicher noch ein harmloses Beispiel. Schlimmer für die Unternehmenskultur ist es sicherlich, wenn der Betriebsrat Mitarbeiter verfolgt, weil sie um 17:00 die Stechuhr betätigen und dann aber noch bis 19:00 weiterarbeiten, um nicht mit Arbeitszeitregeln in Konflikt zu geraten.

Meine Empfehlung:

Fördern von Eigenverantwortlichkeit und versuchen nach dem Prinzip der Subsidiaritäts klare Regeln aufzustellen und einzuhalten.

These 5:

Mitarbeiter sind potentielle Betrüger, korrupt oder bestechlich!

Das tut weh, aber viele Unternehmen scheinen wirklich davon auszugehen, dass die Welt und besonders die Menschen im Unternehmen sehr schlecht sind.

Sicher kann man darüber streiten, ob die Zeit das richtige Maß für die erbrachte Arbeitsleistung ist. Wahrscheinlich geht es ja auch nicht anders. Aber ob gestandene Persönlichkeiten mit hohem Intellekt und charakterlicher Reife wirklich morgens und abends ein- und ausstempeln müssen, das ist schon fraglich. Jetzt kommen dann auch noch biometrische Zugangskontrollen und ein ausuferndes Identity Management dazu. Nicht nur Handel und Diskounter gehen davon aus, dass sowohl Kunden wie Mitarbeiter und Lieferanten Diebe sind und setzen auf die totale Videokontrolle.

In mir bekannten Unternehmen werden die disziplinarischen Vorgesetzten systemisch angehalten, mit Mitarbeitern, die krank waren, ein persönliches Gespräch über die durch die Krankheit bedingte Abwesenheit zu führen. Dies besonders, wenn der Ausfalltag ein einzelner Montag oder Freitag war, für solche Ausfalltage wird auch immer öfters ein Attest des Arztes verlangt (ob zulässig oder nicht).

Und die Fragebögen schon für mittlere Führungskräfte zum Thema Compliance erinnern wirklich an den kalten Krieg oder den Kampf gegen den Terrorismus. Und sehr oft besteht die Annahme, dass Mitarbeiter Firmengeheimnisse verraten.

Meine Empfehlung:

Machen wir einen Schritt zurück und beginnen wir mit dem Aufbau einer Vertrauenskultur an Stelle von Ausspähung.

These 6:

Mitarbeiter können über materielle Anreize gesteuert werden.

Das ist ein weiteres in Unternehmen anscheinend weltweit verbreitetes Vorurteil! Unternehmen werden topdown in einer erschreckenden Art und Weise “durchgegoalt” (was für ein schönes Unwort), als ob die Planer schon im voraus wissen könnten, was im Laufe des Geschäftsjahres alles passieren wird. So geht es um extrinsische Motivation, die aber detailliert und vereinfacht festgeschrieben wird. Zwar ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Erreichen der persönlichen Ziele letztendlich wirklich dem Unternehmen zu Gute kommen, wird. Dafür hat man dann einen Geschäftsplan, der einem ehemalige volkseigenen Betrieb (VEB) der DDR alle Ehre gemacht hätte. Und: manchmal wird er erreicht, und manchmal nicht, aber genug Gründe finden sich ja hinterher immer.

Meine Empfehlung:

Klarheit schaffen, Gewinn gerecht verteilen.

These 7:

Mitarbeiter sind austauschbar und beliebig mobil

Auch das ist ein Glaubenssatz der Postmoderne. Das Schlagwort ist „Industrialisierung der Arbeitswelt“. Präzis beschreibbare Prozesse in der Arbeitswelt suggerieren, dass man die Anforderungen an Menschen normieren kann. Zu dieser “Skill-Anforderung” („skill“ auf deutsch Geschick, Fertigkeit, Können etc.) braucht man dann nur noch das entsprechende „Skill-Profil“ finden. So wird der Mensch in der Arbeitswelt zu einem n-Tupel von fachlichen und sozialen Skills reduziert, was wahrscheinlich gegen die Menschenwürde ist. Management reduziert sich auf das Zusammenbringen der prozessbedingten Nachfrage mit der passenden menschlichen Angebotsressource, man spricht zynisch von „Häutehandel“.

Die Anforderung, dass der richtige Skill zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein muss, möglichst Sonntag Abend bis Samstag früh, bewirkt dann das „moderne Nomadentum“.

Meine Empfehlung:

Nicht vergessen, dass Menschen Menschen sind und keine Maschinen. Als Vorgesetzter führen und nicht nur funktionieren und verwalten.

These 8:

Mitarbeiter sind beliebig belastbar und haben keine Familie.

Gerechterweise trifft dies alle, das Management wie die Fachleute. Man muss permanent erreichbar sein und sofort reagieren. Es gibt auch keine Sekretärinnen mehr, die uns ein wenig beschützen könnten. Alles prasselt ohne Schutzfilter auf uns. Wichtige und unwichtige E-Mails, Kalenderanfragen ohne Ende. Wenn man auf dem Festnetz telefoniert, klingelt das Mobiltelefon. Und Chat und SMS gehören auch dazu. Die Bürokratie verschlingt uns, wir müssen Zahlen reporten und berichten. Und vieles was man so tun muss leuchtet nicht ein, man macht es aber trotzdem.

Das Unternehmen hat erste Lebenspriorität zu sein. Das trifft natürlich vor allem Menschen, die in Familien leben. Eigentlich sollten wir alle keine Familie mehr haben. So nennt man im Personalabteilungs-Neudeutsch eine allein erziehende Mutter eine „Mitarbeiterin mit Familienhintergrund“.

Meine Empfehlung: Bedenken, dass die Familien der Mitarbeiter wichtige “Stakeholder” des Unternehmens sind.

Aber jetzt Schluß mit den Thesen …

Ich vermisse die konservativen (althergebrachten) Motivationsfaktoren!

Das ist zum Beispiel der Stolz auf die geleistete Arbeit, die Freude über ein gutes Arbeitsergebnis. War es für einen Eisenbahner nicht eine schöne Motivation, bei einem Unternehmen zu arbeiten, bei dem er an einer pünktlichen und zuverlässigen Infrastruktur als Basis eines funktionierenden Wirtschaftssystem mitgewirkt hat?

Wie war die Solidarität unter den Mitarbeitern großer deutscher Unternehmen, mit gemeinsamen Zielen und gefühlter Fürsorge durchs Unternehmen. Da gab es mal Wohnungen und Kindergärten für die Mitarbeiter. Am Jahresende wurde neben den kaufmännischen Zahlen eine Sozialbilanz erstellt. Heute gibt es Aktienoptionen an Stelle von Pensionen, ein paar Gewinner und viele Verlierer.

Wir brauchen die Begeisterung für die Sache. Dies gepaart mit gesundem Menschenverstand, der uns heute immer noch vor Schlimmeren bewahrt.

Meine Empfehlung:

Intrinsische Motivation nutzen, mittelständische Strukturen schaffen.

Wie könnte es sein?

Die Basis aller Kommunikation und des sozialen Zusammenlebens im Unternehmen ist ein angstfreier Raum. Es besteht ein klarer Rahmen, den die Mitarbeiter durch eigenverantwortliches Handeln füllen. Es besteht ausreichend Freiheit und Klarheit, so dass ein jeder weiß, was er zu tun hat. Es entwickelt sich eine konstruktive Freude, die Dinge nach vorne zu bringen. Die Mitarbeiter bestimmen ihren Einsatz und wählen die Aufgaben, an denen Sie arbeiten, selbstständig aus.

Meine Utopie – Freiheit, Klarheit und Teamstrukturen!

So funktionieren “Open Source Projekte”

Die Teilnehmer suchen sich die Themen selbst aus, bei denen sie ihre Fähigkeiten am besten einbringen können.

Sie suchen Herausforderungen in einem Umfeld, das sie fasziniert und das sie kennen lernen wollen.

Die Motivation aller Mitstreiter ist so intrinsisch begründet.

Die Team-Mitglieder sind gleichzeitig Entwickler und Nutzer (Kunden) ihres Produkts, so steht der Kundennutzen außer Frage.

Der Aufbau der Organisationen ist einfach und klar.

Die Projektarbeit folgt nach eindeutigen Regeln.

Die Ziele sind transparent.

Der Erfolg der Arbeit wird fair und angemessen geteilt.

Das ist wohl das Geheimnis des Erfolgs von vielen Open-Source-Systemen – sie verwirklichen mehr oder weniger diese Utopie.

P.S. 1

Diesen Vortrag habe ich am 22. April an der Universität Augsburg bei der AFW (Alumni, Freunde, Förderer der Wirtschaftsjuristen e.V.) und am 23. April in München an der Technischen Universität Münchnen bei Manage&More im „unternehmerTUM“ gehalten. Durch die rege Anteilnahme an der Diskussion haben die Zuhörer wesentlich zur Klarheit der Gedanken beigetragen, dafür möchte ich mich herzlich bedanken!

P.S. 2

Ich bin gerne bereit, vor jungen Menschen im akademischen Rahmen diesen oder einen anderen meiner Vorträge zu halten.

Eine Antwort

  1. The following comments are based on the original (German) version. It was entertaining and thought-provoking, but should not be taken as Gospel.

    These 1:Mitarbeiter können über „Championing“ motiviert werden (”best in class”)!
    In itself, this is OK; the „Katzenjammer“ (grumble) is not really relevant. Developers and production are happy to think their product is excellent, and that this is an aim of management. With sales, it is a bit more problematic. One might think that the sign of a good sales force is that they can sell expensive rubbish. The company does not want to trumpet this! (Anyway salesmen are usually motivated by targets and related bonuses).
    Perhaps the answer is to have an independent sales organisation that sells whatever they want. Then the production can say that the best sales force has chosen their product, and the sales force can say that the best producers have chosen to work (exclusively?) with this sales force.
    Of course there is no motivation if the workers do not think management is being honest.
    These 2:Mitarbeiter sind durch Design und Marketing beeinflussbar.
    Yes, workers tend to be de-motivated by expenditure due to an attempted new style in terms of colour or logo. They realise the irrelevance of this.
    These 3:Mitarbeiter kann man mit klugen Sprüchen beeindrucken.
    Saint-Exupéry’s ship and the trained fish are nice motivation for creative dreaming. The perfect team is just silly (de-motivating).
    “Bei uns steht der Mensch/Kunde im Mittelpunkt” is OK. It does not matter if workers make cynical jokes about it, as long as they believe it is (at least partly) honestly meant
    My opinion: avoid obvious dishonesty and stupidity.
    These 4:Mitarbeiter sind unmündig.
    A firm cannot afford to have its workers spend a lot of their energies considering whether the bosses are getting things right. Division of labour is needed, with the managers doing the management. Of course it is wrong not to use good ideas that come from workers. It is wasteful and breeds resentment. An IT firm should not be nearly as hierarchical as an army. The right balance is needed and many firms get it wrong.
    These 5:Mitarbeiter sind potentielle Betrüger, korrupt oder bestechlich!
    Again the right balance is needed. People do swindle firms. Higher up in the management, there are bigger opportunities and perhaps stronger tendencies. Power corrupts! Perhaps that makes bosses more suspicious than they need be. They are judging by their own standards. Checks and controls are needed, but should not be more than is cost-effective.
    These 6:Mitarbeiter können über materielle Anreize gesteuert werden.
    This is generally true. A more widespread, better known example of pecuniary motivation is bonus according to a salesman’s annual sales. I am sure this helps. Another example is promotion leading to better wages. Who would spend his life boring teeth if it were badly paid?
    Piece-work functions in simple contexts, but fails where flexibility is needed. It is little use paying a programmer according to lines-of-code, as the code may be rubbish, or at least much more bulky than was needed.
    These 7:Mitarbeiter sind austauschbar und beliebig mobil
    The view that workers are interchangeable is not post-modern. It stems from old hierarchical societies with much simple work. One sees the German context of this talk. In other countries work is done on Saturdays and Sundays too!
    These 8:Mitarbeiter sind beliebig belastbar und haben keine Familie.
    The word „stakeholder“ seems to come from the „SCRUM“ method of system development. But there it surely did not include families!
    Should the firm bother about families? Some in Germany seem too careful in this respect. I regard it as my decision whether I want to work on a Saturday or Sunday. I object to meddling by lawmakers (who do not themselves follow these rules).
    Roland’s (Utopie – Freiheit, Klarheit und Teamstrukturen!
    I want to see how this will work, but I have my doubts about whether it could or should generally replace the current work culture.

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