Kopf oder Bauch

Von kjg
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Wirtschaftlich Handelnde halten sich im Allgemeinen zu Gute, dass ihre Entscheidungen rational getroffen werden. Fast jeder trifft täglich wirtschaftliche Entscheidungen. Obwohl spätestens seit dem 20. Jahrhundert zahlreiche Ökonomen  auf die Begrenztheit der  Leistungs­fähigkeit einer ausschließlich verstandesmäßigen Entscheidungskultur hinweisen, gehört es nach wie vor „zum guten Ton“, Entscheidungen rational zu begründen.

Jüngste Krisen in der globalen Finanzwirtschaft scheinen ökonomischen Theorien seit dem 20. Jahrhundert Recht zu geben. Komplexe Systeme sind zwar einer rationale Beschreibung zugänglich, aber die Rationalität spielt beim Zustandekommen weitreichender Entscheidungen offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Gerade im Verlauf der aktuellen Krise zeigen sich fast „schulbuch­mäßig“ die Abläufe von Entscheidungsprozessen, deren tiefere Ursachen weniger mit den bewusst artikulierten Gründen zu tun haben als mit Emotionen wie Angst, Machtstreben, Vermeidung von Scham.

War das alles, wenn es denn rational begründet war, nicht von vornherein auszuschließen bzw. warum ist es offensichtlich so schwer, die Krise jetzt zu beherrschen?

Die Vermutung liegt nahe, dass bei den getroffenen Entscheidungen nicht allein rationale Argumente die ausschlaggebenden waren. Waren es vielleicht Motive, wie die „Gier“ nach dem schnellen Gewinn oder andere „niedere“ Beweggründe? Hat die Gier den Verstand ausgeschaltet? (Zitat des Bundesfinanzministers)

Das Symposium Kopf oder Bauch – Zur Biologie der ökonomischen Entscheidung wird sich diesen Fragen widmen. Ausgangspunkt ist die nähere Betrachtung der Entscheidungsprozesse. Insbesondere wollen wir uns der Frage widmen, inwieweit Rationalität unsere Entscheidungen zu beeinflussen vermag.

Hierbei fällt unser Blick auf den neueren Forschungszweig: „Neuroökonomie“. Das Gehirn versucht sich durch seine Entscheidungen vor allem selbst zu belohnen. Weil auch der Altruismus als eine natürliche Kraft zu werten ist, stellen Neurobiologen heute heraus, dass die Vorstellung des „homo oeconomicus“ nicht weniger als die These vom Menschen, der dem Menschen ein Wolf sei, als überholt gelten müssen. Von diesem Standpunkt aus dürfen wir heute ein sehr viel optimistischeres Menschenbild zeichnen.

Es gibt keinen Anlass zu fürchten, dass uns moralische, ethische und soziale Werte verloren gingen, wenn wir nicht aus einer mutmaßlich rein-geistigen – übernatürlichen – Welt ableiten. Vielmehr lassen wir uns von der Vermutung leiten, dass uns das Studium der biologischen Voraussetzungen der menschlichen Entscheidung vor falschen Erwartungen und fatalen Missverständnissen über die Interessen der Menschen in der globalisierten ökonomischen Welt bewahren kann.

Zu diesem Thema führen wir an der Frankfurter Universität ein Symposium durch:

Das Symposium Kopf oder Bauch – Zur Biologie der ökonomischen Entscheidung am 19. Oktober 2009, 12-18 Uhr, in der Aula auf dem Campus Bockenheim setzt die Reihe der Diskussionen mit dem Hirnforscher Gerhard Roth über den Paradigmenwechsel von der Selbstbetrachtung des Geistes zu den neurobiologischen Voraussetzungen des philosophischen Denkens an der Frankfurter Goethe-Universität fort.

Die Themen und wesentlichen Beiträge vorausgegangenen ersten beiden Symposien sind dokumentiert in den im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen herausgegebenen Schriften: Gerhard Roth und Klaus-Jürgen Grün, Das Gehirn und seine Freiheit. Beiträge zur neurobiologischen Grundlegung der Philosophie (2006, 3. Auflage 2009) sowie Klaus-Jürgen Grün, Michel Friedman und Gerhard Roth Entmoralisierung des Rechts – Maßstäbe der Hirnforschung für das Strafrecht (2008).

KJG

5 Antworten

  1. Der Homo Oeconomicus wird ja nicht primär als These, sondern als Modell der Wirtschaftswissenschaften verstanden. Und es ist nicht abzusehen, dass das Modell verworfen würde, denn bislang fehlt eine ähnlich gut funktionierende Alternative.

  2. Guten Tag Enno, Ihre Aussage ist absolut wahr und dabei sehr entwaffnend. Gäbe es den Homo Oeconomicus nicht mehr, würde das ohnehin schon schwächliche Gerüst der Wissenschaftlichkeit (im Sinne von Voraussage und Kontrolle) der Wirtschaftswissenschaften endgültig zusammenbrechen. Aber darf ein Leitbild auf dem Sockel bleiben, obwohl es in der Außenlogik (also im wahren Leben) nicht funktioniert, nur weil es im Sinne der Binnenlogik (also innerhalb des Fachbereiches) unverzichtbar ist?

  3. Moin moin Six,

    ich nehme an, Sie vergleichen die Wirtschaftswissenschaften zu direkt mit den Naturwissenschaften, wenn sie Vorhersage und Kontrolle als wesentliche Kennzeichen von Wissenschaftlichkeit herausstellen.
    Dazu kommen bei zahlreichen anderen Wissenschaften ja noch Erklärung und Interpretation (gerade bei den Sozialwissenschaften) und die Produktion von anwendungsfähigen Methoden (in den Designwissenschaften). Und da können die Wirtschaftswissenschaften, denk ich, durchaus mit anderen Wissenschaften mithalten – sind aber weiterhin auf den Homo Oeconomicus angewiesen, jedenfalls die VWL.

    Im direkten Vergleich mit den Naturwissenschaften muss die Wirtschaftswissenschaft vielleicht tatsächlich als „unwissenschaftlich“ abgestempelt werden, solange man ausschließlich mit den Maßstäben der Naturwissenschaft misst. Aber das ist auch Anspruch nur der wenigsten Wirtschaftswissenschaftler.
    Genauso würden allerdings auch zahlreiche andere Wissenschaftsdisziplinen an diesem Anspruch scheitern.

    Es kommt doch ganz stark drauf an, von welcher Fakultät aus die Messlatte für Wissenschaftlichkeit gelegt werden darf.

  4. Guten Tag Enno,

    Sie haben mich erkannt. Das von mir ausgegebene Kriterium ist weitestgehend den Naturwissenschaften entlehnt. Aber nicht ganz: in der empirischen Sozialforschung (in der ich mich ein bißchen auskenne)ist dieses Ideal zumindest im Hinterkopf und wegen seiner Härte hat es ja auch was (das Kriterium). Wenn man Wissenschaft wörtlich nimmt (schafft Wissen) , dann ist es auch nicht abwegig, anderen Bereichen, die nicht das harte Kriterium erfüllen, dieses Label zu verpassen. Aus meiner eigenen Studienzeit (Design, Psychologie) weiß ich aber, dass die Dinge, die ich dort gelernt habe, Praktiken waren, aber als Wissenschaft im Sinne des harten Kriteriums (also Voraussage und Kontrolle) gelehrt, begriffen und verkauft wurden. Und das fand ich saublöd. Nehmen Sie es mir also nicht krumm, dass ich wegen dieser Jugenderfahrung – für die meisten verwirrend – für eine saubere Trennung von Wissenschaft (im Sinne des harten Kriteriums) und Praktiken bin. Falls Sie Wirtschaftswissenschaftler sind – ich wollte Sie nicht beleidigen.

  5. Moin moin,
    „Wirtschaftswissenschaftler“ ist für mich zu hoch gegriffen, ich studiere es. Und da ich vorwiegend BWL mache, die häufig weder Methodisch besonders sauber arbeitet noch Erkenntnisgewinne liefert, macht mir Kritik an den Wirtschaftswissenschaften nichts aus. Ich merke ja selber, wie es um sie bestellt ist.
    Nur die VWL musst ich dann doch in Schutz nehmen.

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