III. Moskau 29.5.09 – 1.6.09
Pünktlich wie die Maurer stehen wir knackig und ausgeruht, um 10:59, auf dem Bahnsteig von Beloroussky vokzal.
Vladimir winkt begeistert, die kühne Locke auf der Stirn, Ray Ban Sonnenbrille, das Hemd lässig über den verwaschenen Jeans. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, ehemaliger Kollege und unwiderstehlicher Charmeur. Nach russischer Sitte teilen wir Salz und Brot.
Die Fahrt zum Novotel Center ist eine Citytour in Zeitraffer. Bei Tempo 90 fliegen St. Basilius, die ehemalige KGB Zentrale und der Kreml förmlich an den Fenstern des nagelneuen Range Rovers vorbei. Die Herausforderung des Tempolimits ist für wohlhabende Moskauer ein Spiel mit der Bestechlichkeit der Ordnungshüter. Vierradantriebe sind nicht nur Statussymbol sondern auch praktische Notwendigkeit im schneereichen Winter.
Vladimir ist in Eile, nach dem Mittagessen hat er eine Verabredung mit Geschäftsfreunden. Business making in Moskau kennt kein Wochenende… Der Pilaw Reis mit Hammelfleisch und Karotten im usbekischen Edelrestaurant „Sonne der Wüste“ und die grünen Gurken mit Dill und Petersilie sind eine gastronomische Spitzenleistung. Der „Russki Standard“ wird seinem Ruf gerecht. Die Trinksitten sind rigoros, wenn man das Glas einmal in der Hand hat, darf es erst leer wieder auf den Tisch gestellt werden. Fehlverhalten bedeutet Unglück für den Gastgeber.
Moskauer Spaziergänge
Unser Hotel liegt etwa 3km nordöstlich vom Stadtzentrum, auf der Novoslobodskaya Strasse. Man erreicht den Kreml in 25 Minuten zu Fuss, erst in Richtung Puschkin Platz, mit dem berühmten, gleichnamigen Café und dann die Tverskaya Strasse hinunter.
Es ist ein herrlicher, sonnenklarer Frühsommertag. Vor dem roten Backsteinbau des Historischen Museums, mit seinen Spitztürmen und der neorussischen Fassade, drängt sich eine farbenfrohe Menge von Schaulustigen, Touristen aus allen Gegenden Russlands, aus Westeuropa und Asien.
Der Vorplatz des Portals der Auferstehung ist mit knallrot ausgeputzten Ständen gesäumt, russische Puppen, Chapkas, bunte Kopftücher und Requisiten der roten Armee sind die Verkaufsschlager in einem Angebot à la „Kitsch as Kitsch can“. Zwei Lebende, waschechte Imitationen von Lenin und Nikolaus II lassen sich für ein paar Rubel mit Moskoviten, Japanern oder Italienern photographieren.
Gleich hinter dem Portal glänzen die rot weisse Zuckerbäckerfassade und die Goldkuppel des Turms der kleinen Kazan Kathedrale, vor uns gähnt die 500m lange, gepflasterte Weite des Roten Platzes.
Auf der Westseite dominieren die rote Backsteinmauer des Kremls und die dunklen Granitquader der Pyramide des Lenin Mausoleums. Im Osten erstreckt sich die endlose neorussische Fassade des Luxuskaufhauses Goum und im Süden winkt das Wahrzeichen Moskaus, die marshmellowfarbenen, sahnetupferhaften Zwiebeltürme von St. Basilius.
Das enge Gewirr der Strassen von Kitaï Gorod versteckt sich im Rücken des imposanten Volumens des Goum, zwischen den Juwelieren und eleganten Boutiquen von Nikolkaya Oulitsa und den Kirchen und Palästen von Oul Varvarka. Wir flanieren in einer Ausstellung, in einem Bilderbuch von neorussichen, neogothischen, neoklassischen und Jungendstilfassaden, die in Farben- und Formenreichtum miteinander konkurrieren.
Südlich von St. Basilius fliesst das stahlblaue Band der Moskova und von der Bolschoï Moskovetzki Brücke fällt der Blick des staunenden Besuchers auf ein atemberaubend faszinierendes, urbanes Panorama. Die blendend weissen, goldgekrönten Campanili auf dem Platz der 4 Kathedralen überragen die mächtigen Wachtürme der Zarenzitadelle und den barocken Grand Palais des Kremls. Im Hintergrund leuchtet der goldene Dom der Erlöserkirche. Der marmorfarbene Block der Basilika ragt wie ein orthodoxes Taj Mahal.
Auf der Westseite des Kremls wacht die gewaltige, neoklassische Fassade des Pachkov Hauses über ein sonntäglich-sommerliches Spektakel, ein hochgradig anregendes Fest der Sinne.
Hier zeigt sich die Moskovitin von ihrer besten Seite, hier spielt sie ihre stärksten Trümpfe aus, hier zeigt sie was sie hat: Schlanke, endlose Beine.
Zugegeben, viel bewegt sich hier diesseits der Vulgarität. Diese Regel wird bestätigt durch beeindruckende Ausnahmen.
Die Kürze der Röcke und hot pants offenbart, wohlgeformte Waden und Schenkel, samtene Haut, süsse Sinnlichkeit. Stelzenartige Absätze, augenzwinkernde Bauchnäbel, gekonntes Posieren auf den Bänken, im Gras liegend, am Arm des Freundes oder der Freundin, flanierend, formen einen schillernden Reigen der Verführung.
Sanft dämmert das Ende des Tages…
HPK