Lieber böser Trieb.

Mein Weg. Im Wind. Auf schmaler Spur. Auf gefährlicher Strecke. Durchhalten!

Ich schreibe ja zurzeit öfters über Sex. Und elektrische Fahrräder. Heute wieder über Sex.

Mir geht es nicht um den Sex an sich. Vielmehr bin ich betroffen, wie sehr gerade bei diesem Thema geheuchelt und moralisiert wird. Und wie sich die Menschen dabei selbst betrügen, wohl weil sie Angst vor ihren Trieben und ihren unbewussten Wünschen haben.

Ich meine, dass wir besser leben könnten, wenn wir unser eigenes Leben und das der „Anderen“ nicht unnötigerweise mit Tabus und Moral kaputt machen würden.

Wenn ich in meinen Artikeln zurzeit Muster breche, dann möchte ich niemand verletzten oder beleidigen, sondern nur ein wenig zum Nachdenken und Überprüfen der eigenen Gewissheiten anregen.


Bei meinem „meetoo-Artikel“ habe ich neben viel Zustimmung auch Gegenwind bekommen. Positiv zusammen gefasst wurden mir im wesentlichen zwei Aussagen entgegen gehalten:

(1) „Auch Männer sollten in der Lage sein, was auch immer sie gerade treiben, sich zu beherrschen.“

und

(2) „Wir müssen – ganz gleich in welcher Situation wir uns befinden – immer ausreichend Respekt vor anderen Menschen und deren Recht auf Selbstbestimmung haben“!

Das klingt beides gut. Und danach versuche ich sogar zu leben. Und ich meine, beides sollte für alle Menschen und alle Geschlechter gelten, nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen.
(Einschub: Im übrigen haben wir ja neuerdings drei Geschlechter. Bei der Sexualität hat das Bit jetzt drei Werte – Informatik-Insider.)

Aber sehen wir uns mal (1) genau an: Was heißt das „auch Männer“? So wie Frauen? Oder Kinder? Oder unsere Haustiere? Oder Autofahrer*Innen! Wer sollte eigentlich nicht in der Lage sein, sich zu beherrschen?

Wenn ich (2) gründlich und langsam lese, dann denke ich mir als erstes „Wow, was für ein schöner Satz!“. Aber ist das nicht eine Utopie oder schlimmer nur so eine Floskel? Wie ist die Realität, die uns sozialisiert hat und in der wir unsere Kinder sozialisieren? In meinem Leben habe ich zu oft das Gegenteil von Aussage (2) erlebt. Wie schön wäre es gewesen, wenn andere Menschen mein Recht auf Selbstbestimmung respektiert hätten! Besonders meine „Erziehungsberechtigten“!

Gibt es überhaupt ein Gesetz, dass unsere Selbstbestimmung schützt? Ich fürchte nicht. Kann ich das Recht zur Selbstbestimmung aus der Garantie meiner Würde ableiten? Freiheit heißt doch auch „das eigene Leben eigenverantwortlich leben“? Und wird das nicht beliebig eingeschränkt, mit der „genial-fiesen“ Begründung mich schützen zu wollen. Vor mich selber!

😉 Ich kenne nur, die Selbstbestimmung über meine Daten … Und das auch eher nur als Gesetz (weil diese Selbstbestimmung in meiner Bewertung sowieso Blödsinn ist).

Meine „Selbstbestimmung“ wurde laufend durch Mächtigere und Mächtigeres weggefegt. Ich könnte hier eine schier unendlich lange Liste von Lebenserfahrungen aus Elternhaus, Schule, Bundeswehr, Studium, Erwerbsleben, in Sondersituationen wie z.B. im Straßenverkehr und dem „gemeinen“ täglichen Alltag berichten und damit Seiten füllen.

Das betrifft aber nicht nur mich. Nahezu pausenlos erlebe ich sogar im „öffentlichen Bereich“, wie Menschen die Selbstbestimmung anderer überhaupt nicht respektieren. Und dies in allen Dimensionen des Zusammen-Lebens. Und die harmloseste Form ist da noch „Moralisieren“, das schnell zum „Mobbing“ wird.

Trotzdem versuche ich (2) zu leben. Wie auch (1). Mit (1) ist es aber auch nicht so ganz einfach. Ist es wirklich „gut“ für mich, wenn ich mich immer beherrsche? Und wieso soll ich Menschen ächten, verfolgen und bestrafen, nur weil sie sich trauen, was ich mich nicht traue. Zum Beispiel wenn sie sich die Freiheit nehmen, einem anderen Menschen zurück zu melden, dass sie ihn schön finden. Was ich mich aus Angst vor „Sexismus“ dies nicht traue. Soll ich sie verurteilen, weil ich sie um ihren Mut und ihre Freiheit beneide? Und mich ärgern, wenn diese auf „ihre Unverschämtheit“ dann auch noch eine positive Reaktion bekommen!

Und was das Moralisieren betrifft, da zitiere ich ausnahmsweise und sinngemäß – anders geht das ja eh nicht – das neue Testament)
Der, der frei von Schuld, möge den ersten Stein werfen!

Wir dürfen doch nie vergessen, dass „Mensch“ (wir alle) halt letzten Endes nur ein ab und zu mehr und ab und zu weniger sympathisches „Säugetier“ ist. Ab und zu voller Feindseligkeit und dann wieder von größter (Menschen-)Freundlichkeit! Ein Säugetier, dass zwar über so etwas wie ein „moralisches“ Kleinhirn verfügt, das aber halt nur das „kleine Hirn“ ist?

Wie würdigt der Bayer seinen Franz-Josef (Strauß) : „Ein Hund war er schon!“.

Und dass Mensch einredet, wie klug, stark und frei er doch wäre. Obwohl die ganzen relevanten Erinnerungen und Erfahrungen im Unterbewusstsein gespeichert sind.An so viel Information (fast alle die wir haben) kommen wir eben nicht „bewusst“ hin. Das Unterbewusstsein fällt und bereitet de facto die Entscheidungen vor. Wir sind nicht die „edle, göttliche Rasse“, ohne Fleisch und nur aus Geist, die sich absolut vom Tier unterscheidet. So sollten wir auch nicht versuchen, so tun als ob oder gar so werden zu wollen.

Wir haben eben keinen unbeeinflussten und bewussten Willen. So sind wir auch nur recht bedingt und dann sehr konstruiert schuldfähig. Diese (naturwissenschaftlich der modernen Gehirnforschung folgend) sehr wahrscheinliche Realität wird nicht gerne gehört, und ruft bei vielen (den meisten) Menschen in der Regel Entsetzen und eine heftige Gegenreaktion aus. Daraus folgt aber auch, dass z.B. eine „Haftstrafe“ für  falschen (sozial-schädliches) Verhalten nicht mehr als Strafe verstanden wird sondern als Maßnahme, die die Absicht hat, dass sich dies nicht wiederholen kann.

Ich frage mich: Macht es Sinn und ist es legitim (im Sinne von ehrlich), wenn ich mich moralisch über die „Täter“ oder pauschal gar über „Täterkategorien“ erhebe und diese verurteile? Was bringt es sozial, wenn ich oder wir uns an Hexenjagden beteiligen und auch z.B. juristische Güter wie das der Verjährung in so einem Fall einfach ignorieren?

These (1) – nicht beherrschen können – wird ja immer besonders Männern unterstellt. Ich bin ein Mann und kenne die „Triebsituation“ von Frauen nicht. Es gibt Frauen, die mir berichtet haben, dass sie auch „trieb-ähnliche“ Situationen haben. Das glaube ich ihnen, denn es passt zu meinen persönlichen Erfahrungen. Der Trieb ist Teil des Mensch-Seins (oder Tier-Seins 🙂 ?). Freilich kann die Intensität je nach Sozialisierung und mag sein auch genetischer Veranlagung mehr oder weniger stark sein kann. Vielleicht bis zur Null-Menge.

Und sicher kann man sich selber betrügen, in dem man den eigenen Trieb einfach wegschiebt. Vielleicht in manchen Fällen sogar erfolgreich. Oder sehr schadbringend. Da muss ich an den rechtschaffenen aber latent homosexuellen Bürger im Stück „Orpheus steigt herab“ von Tennessee Williams denken. Der „Schwule“ hasst und auf das schlimmste verfolgt. Wohl auch weil er insgeheim fühlt, dass er selber „schwul“ ist – was aber im Spießbürger-Milieu der ruhigen und wohlgeordneten Südstaaten-Kleinstadt schon gar nicht geht! Ein Fremder kommt – und die Hexenjagd geht los. Ein Stück, dessen Aufführung ich in den Kammerspielen gesehen habe und das mir richtig „Seelenqualen“ verursacht hat.

Wie das im Gehirn das alles so genau funktioniert, ist noch nicht komplett erforscht und ich weiß es natürlich auch nicht. Ich vermute aber, dass letztendlich derjenige, der Schwule hasst und tot schlägt, weil er selber schwul ist oder sein könnte, maximal unglücklich ist. Wie so oft wenn Täter und Opfer eins sind.

An Diskussionen wie sie gerade zum Sexismus geführt werden, stört mich besonders, dass es es immer Kategorien sind, die an den Pranger gestellt werden. Zum Beispiel allein erziehende Mütter. Vor denen habe ich so richtig Respekt.

Ich kenne Menschen, die genau diese disqualifizieren. Wenn nicht gleich als Nutten, so zumindest weil sie leichtfertig schwanger geworden sind. Ihr Kleinhirn hätte doch auf den Trieb aufgepasst müssen. Das weiß doch heute jeder, wie man schwanger wird. Wie heißt das Gedicht der Physik-Lehrerin zum Merken der Worte konkav und konvex?
Ist das Mädchen brav, bleibt der Bauch konkav, hat es aber Sex, wird dieser konvex.

Andere – besonders „tugendhafte“ – Moralisten meinen, die „unfreiwilligen“ Mütter hätten halt Nein-Sagen sollen! Also hätte sie versagt im Sinne von (1): „Auch Frauen sollten durchaus in der Lage sein, was auch immer sie gerade treiben, sich zu beherrschen.“
Und dann gibt es die ganz konsequenten Moralisten (halt mit einer anderen Moral):
„Die sind doch selber schuld, sie hätten doch abtreiben können!“.

Natürlich hat Schwangerschaft mit Sex zu tun und verändert das Leben einer Frau gewichtig. Es gibt Frauen, die haben „brav verhütet“ und sind trotzdem schwanger geworden. Zum Beispiel weil sie ein Produkt wie die „Kupferspirale“ verwendet haben, die schon in ihrer Produktbeschreibung (siehe Pearl-Index) als unzuverlässig beschrieben ist (und natürlich von Männern für Frauen entwickelt wurde).

Andere sind schwanger geworden, weil sie für elf Minuten“schwach“ geworden sind. Für sie alle war das dann ein großes Erschrecken. Warum eigentlich?

Manche haben „ihren Fehler“ korrigiert und abgetrieben. Oft unterstützt und ermuntert von ihrer sozialen Umwelt. Auch da meine ich, dass niemand das Recht hat, diese Frauen moralisch zu verurteilen. Auch nicht, die an der Zeugung beteiligten Männer, weil sie ihren Trieb nicht beherrschen konnten – auch wieder im Sinne von Regel (1)?

Ich gestehe, die Versuchung ist groß, eine moralische Forderung aufzustellen wie „Man muss Nein sagen können“. Gleich, ob es um Sex oder Korruption geht. Nur wie oben schon geschrieben „Wer wirft den ersten Stein„? Wäre es nicht besser, wir würden keine Steine schmeißen sondern allen Menschen Respekt entgegen bringen und nicht immer einfach so moralisch herum zu verurteilen?

Es war ja noch mal schlimmer. Ich erinnere mich an Zeiten, das war es als Frau unmoralisch, einen Orgasmus zu haben. Denn Sex war der göttliche Auftrag zur Vermehrung und nicht zur Gewinnung von Lust. Die Frau, die Spaß am Sex hatte, galt als Hure. Und wie auch schon mal von mir geschrieben, haben die Männer „die Hure“ gesucht, die möglichst gleichzeitig „die Heilige“ sein sollte.

Armes dummes in diesem Fall männliches Kleinhirn!

Um es nochmal zu wiederholen: Gewalt gegen alle Mitmenschen ist ein absolutes #nogo. Ganz gleich zu welchem Zweck. Da gibt es keine Beschönigung. Hier noch eine abschließende Provokation – aber nicht so gemeint sondern nur als Inspiration und Impuls zum Nachdenken:

Gewalt und Anwendung von Macht im Kontext von Trieben wird angeprangert und leidenschaftlich verfolgt.
Soweit OK!
Brutalste Gewalt, die sich gegen Menschen richtet, wird toleriert, gefordert, dekoriert und aktiv unterstützt oder organisiert. Von den selben Menschen und der selben Gesellschaft!
Überhaupt nicht OK!

RMD

P.S.
Verhütung ist bei uns ja ganz selbstverständlich Frauensache. Das empfinde ich als ziemlich respektlos gegen FRAU. Das ist auch so eine Facette der Moral unserer Gesellschaft, die ich als Sexismus bezeichnen würde.

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