… ist der Denunziant.
In der SZ (Süddeutsche Zeitung) vom 23. Juni 2008 im Wirtschaftsteil auf Seite 19 befindet sich ein Artikel “Online-Anzeige geplant – Finanzbehörden hoffen auf anonyme Tippgeber“. Auf der selben Seite ist auch ein Kommentar “Finger weg – Die anonyme Anzeige wegen Steuerhinterziehung ist der falsche Weg“. Leider habe ich die Artikel auf der Online-Ausgabe der SZ nicht gefunden, sonst gäbe es hier selbstverständlich einen Link.
Die Aussage des Artikels ist schlichtweg, das die Finanzbehörden Portale für anonyme Anzeigen zu Steuersündern einrichten wollen. “Die Internet-Seiten sollen so verschlüsselt werden, dass der Tippgeber nicht ausfindig gemacht werden kann” heißt es da.
Jetzt verstehe ich schon nicht, wie man übers Internet Anonymität garantieren kann, besonders wenn alle E-Mails und Zugriffe auf Web-Seiten protokolliert werden müssen und ausgespäht werden können. Aber das ist ja nur ein technisches Problem und zeigt wie unbedacht solche Aussagen sind. Anonymität würde ja auch dem “Spaßanzeiger” Tür und Tor öffen. Spaßanzeiger ist übrigens eine neue (Un-)Wortschöpfung von mir und gehört in dieselbe Wortfamilie wie Spaßbieter bei Ebay.
Auch Basisbewegungen wie Attac könnten dann ja so ein Portal einfach zu müllen. Nein, ich glaube viel mehr, dass die garantierte Anonymität auch hier wieder eine sehr relative wäre nach dem Motto: Solange anonym wie (staatlich) erwünscht!
Aber wohin führt das alles? Führen wir jetzt nach Erniedrigung (Hartz IV – ich bin absolut kein Anhänger eines ausufernden Sozialstaates und meine, dass man monetäre Unterstützung durch materielle substituieren sollte, aber ich bin sehr wohl gegen intimste Fragebögen), Überwachung und Ausspähung (Video und Online-Überwachung aber auch gekaufte Daten aus Vaduz) staatlich gefördertes Denunziantentum ein?! Bundesrepublik Deutschland – quo vadis?
Dann denke ich mir, dass wenn wir mehr Demokratie hätten, solche Dinge sehr schnell per Volksentscheid einfach aus der Welt geschafft und verboten werden würden. Und dann denke ich an die Iren, die der “Europa-Verfassung” per Volksentscheid einen Korb gegeben haben.
Und das verwundert nicht. Bürger, die über so wichtige Dinge wie eine Verfassung – auch wenn sie nur (verniedlicht?) Reformvertrag heißt – abstimmen dürfen, wollen keinen Ratspräsidenten haben, dessen demokratische Legitimation nicht einfach erklärt werden kann. Und wenn wir Europäer anderen Kulturen etwas von Demokratie und Menschenrechten vermitteln wollen, wie können wir dann erklären, dass wir unsere obersten Repräsentanten nicht direkt wählen dürfen – und ich nicht einmal weiß, ob unser Parlament diese auch entlassen kann!
RMD
Eine Antwort
Hallo Roland,
ja (!) die Anonymität kann in diesem Fal sicher nicht gewährleistet werden. Auch in einem Rechtsstaat auf “verpfeifen” zu setzen stößt mir arg auf, schließlich setzt unser Grundgesetz auf den freiheitlichen Staat (Artikel 1 und 2 auch bekannt als das Allgemeine Persönlichkeitsgesetz).
Ich muss mich hier auf das Grundgesetz beziehen, da Deutschland selbst keine eigene Verfassung hat!
Wenn du von “unserem obersten Repräsentanten” bzw. “unserem Parlament” redest, gehe ich von dem deutschen aus, und das können wir wohl direkt wählen!
Wenn du aber die EG meinst, dann sollte berücksichtigt werden, dass die Europäische Union ein Zusammenschluss demokratischer Staaten darstellt. Während der Europawahlen aller 5 Jahre könne WIR unsere Fraktion im Europäischen Parlament wählen.
Der Vorsitz wiederrum rotiert aller halben Jahre in einer durch das Europäische Parlament festgelegten Reihenfolge.
Anders gesagt, wieviel Mitbestimmung in der EU möchtest du noch?
Ich kann mir bildlich die Wahlbeteiligung vorstellen, wenn jeder Europäer aller 5 Jahre die Propagandaflyer von 81 (ausgehend von 3 Kandidaten in jedem der 27 Mitgliedsstaaten) lesen, verstehen, differenzieren und beurteilen soll.
Noch ein Wort zur demokratischen Legitimation: JA, die demokratische Beteiligung ist nicht offensichtlich. ABER: wie bereits erwähnt, sind die Fraktionen in der EU durch die Europärer (jedes Einzelnen der von seinem Wahlrecht Gebrauch nimmt) gewählt. Das Parlament ist (derzeit noch) reine Legislative. Die Durchsetzung der Gesetzesentwürfe obliegt den Mitgliedsstaaten, und somit wieder der von uns bekannten Demokratie.
Auch wenn “das Volk” neue Gesetze nicht votiert, kann “das Volk” gegen jedes Gesetz gerichtlich vorgehen. Und schon wären wir wieder beim Rechtsstaat!
Abolut verwirrend, oder? Auf jeden Fall ein spannendes Thema, welches sehr viel Aufmerksamkeit abfordert!