Warum mich…? (Kapitel 4)

Zur Abwechslung hier einmal ein ‚Thriller‘! Mit etwas Glück kommt jetzt jeden Sonntag ein Kapitel. Vielleicht haben einige die Nerven und halten bis zu  Kapitel 19  durch? 

Das Bild ‚ Ahorn und Seide‘ ist übrigens von Martina Roth.

Kapitel 4

1998 – Das Bild

Als Johannes Kant an diesem Samstagvormittag im März vor seinem Rückflug nach Frankfurt sichtbar gehetzt eine der vielen namenlosen Galerien in Berlin betrat, konnte er noch nicht wissen, dass seine Maschine ohne ihn fliegen würde.

Kant suchte ein Geschenk und dachte an ein Bild.

Nicht zu groß. Handgepäckgröße.

Teuer sollte es auch nicht sein, aber doch so, dass Onkel Paul, ein Kunstkenner, staunte.

Sieben Galerien hatte er bereits durch. Die Qualität der angebotenen Kunst war erstaunlich. Natürlich alles Sachen von Nobodies, aber gut. Nur – für Onkel Paul musste es schon etwas Besonderes sein!

Diese achte Galerie war leider stickig, klein und schlecht ausgeleuchtet, alles wirkte provisorisch und konzeptlos. Eine schwarz gekleidete Dame vor ihrem aufgeklappten Laptop mit auffallend hübschem Gesicht fragte Kant, ob sie behilflich sein könnte. Aber der wollte sich nur umsehen. Unverbindlich, wenngleich er einen Augenblick lang stutzte, da er diese Frau vermutlich schon irgendwann einmal gesehen hatte…

Kleinformatige Radierungen hingen verloren an einer schmutzigweißen Wand. Das gerahmte Bild mit dem umschnürten Kopf gefiel Kant, es erzeugte spontan ein Gefühl der Beklemmung, die zu seiner Stimmung passte. Die pfeilartigen Enden der Verschnürung wiesen nach oben und rechts, als zeigten sie neue Wege! Doch oben war die schmutzige Decke und rechts eine Leerstelle. Weiter weg hing noch ein Bild, etwas größer als die anderen. Und farbig; vielleicht in Acryl. Leider war es so schlecht beleuchtet, dass Kant ganz nahe herangehen musste, um irgendetwas erkennen zu können. Er bat die Frau am Laptop um mehr Licht, erblasste dann aber und starrte sekundenlang – wie in Schockstarre – auf dieses Bild in Acryl.

Ähnlich ging es der schönen schwarzen Dame, die Kant anstarrte. Mit ausgetrocknetem Mund und um Fassung bemüht fragte er: „spüren Sie auch die anklagende Trauer in diesem Bild?“

„Nein.“

„Ruft da nicht jemand um Hilfe?“

„Nein.“

„Erstaunlich! Von wem ist dieses Bild, hängt es schon länger hier?“

„Weiß ich nicht, ich bin nur Vertretung, aber die Chefin wollte in drei Stunden zurück sein.“

Chefin – war ja wohl ein Witz bei dieser jämmerlichen Galerie, dachte Kant, sagte aber freundlich, dass er soviel Zeit nicht habe und verließ fluchtartig die Galerie.

Zwei Stunden später saß Kant aufgewühlt und verunsichert in einem Leihwagen Richtung Hamburg. Seiner Frau Susanne hatte er telefonisch Bescheid gesagt. Überzeugen konnte er sie nicht! Wie so oft, wenn es um seine Vergangenheit ging…

Er hatte auf dem Bild in der Galerie, sofort die Stelle wiedererkannt. Der Ahorn, noch klein, war bestimmt ein mächtiger Baum geworden. Und die Seide, ob von der noch etwas zu finden war?

Kant spürte, wie er funktionierte und viel zu schnell über die Autobahn raste.

In Neuruppin fuhr er ab und fragte sich durch nach Netzeband. Die Straßenführung war neu. Seine Eltern hatten in Netzeband zu DDR Zeiten einen Gutshof bewirtschaftet. Heute war das angeblich ein Hotel. Vielleicht auch eine Art Klinik. Ein französischer Arzt aus der Charité soll sich der verfallenden Gemäuer angenommen haben.

Ja, hier war wirklich alles anders! Kant hatte nicht das Gefühl vor seinem Elternhaus zu stehen. Das machte die Sache leichter. Nur jetzt keine dämliche Vertrautheit. Für Sentimentalitäten hatte er keine Kraft; die waren nicht eingeplant.

Auf dem Parkplatz, den es früher auch nicht gegeben hatte, stand ein Auto. Sonst Stille. Weit und breit niemand zu sehen.

An der Rezeption musste Kant zweimal klingeln, bis sich jemand seiner annahm.

„Guten Tag“, sagte eine Stimme, die er kannte. Die Schöne aus der Galerie trug jetzt ein rotes Kleid, lächelte ihn freundlich an, tat aber so, als hätte sie ihn nie gesehen. Kant war verwirrt und spielte das ‚Sich nicht kennen – Spiel’ mit.

Zögernd fragte er nach einem Zimmer.

Warum nicht nach seinem Zimmer?

Wenn die Frau nicht so schön und abweisend gewesen wäre, hätte er es gewagt…

„Leider sind wir das ganze Wochenende ausgebucht. Eine Reisegruppe!“.

Die rote Dame schüttelte bedauernd den Kopf, ohne ihr Lächeln abzusetzen. Die Chefin war auch hier nicht zu sprechen. Sie kam in drei Stunden.

Pech, dachte Kant, wusste aber selbst nicht mehr, warum er sie sprechen wollte. Aber vielleicht hätte er die Chefin gekannt? Hätte ja sein können…

Enttäuscht von sich und der absurden Situation, suchte er rasch das Weite. Mit Logik, die er sonst gelegentlich schätzte, hatte das alles nichts mehr zu tun! Das andere Auto auf dem Parkplatz war jetzt weg. Gehört hatte er nichts!

Kant ließ seinen Wagen stehen, zog eine Jacke über und ging traumverloren auf einen Wirtschaftsweg zu, der zum Wald führte. Seine Stimmung war abgesackt. Er fand die ganze Aktion plötzlich chaotisch und dumm! Seine Frau hatte recht gehabt, als sie am Telefon gesagt hatte, sie wüsste gerne wie lange sie noch darauf warten müsste, bis er sich endlich von seiner komischen DDR-Vergangenheit gelöst hätte…

Er wusste es auch nicht!

Aber da er nun schon hier war, ging er einfach weiter. Er suchte die Lichtung, auf der ihm Elsbeth, seine ältere Schwester, damals die Zwergen Häuser gebaut hatte: es war sein Zwergenland gewesen mit den unterschiedlichsten

Zwergen Häuser und jede Menge Zwergen Werkzeug und Hausrat. Fast täglich konnte er neue Dinge bestaunen mit denen die Zwerge arbeiteten; leider hatte er nie einen dieser Zwerge gesehen. Aber was sollte er auch mit Zwergen, selbst damals war er schon zu alt dafür gewesen…

Es war noch erstaunlich hell im Wald. Die Buchen zeigten erste zaghafte Knospen. Ein auffliegender Eichelhäher erschreckte ihn.

Um genau die Stelle zu finden, wo nach dem Gewitter damals, der russische Soldat mit bleckenden Zähnen verletzt in seinem Fallschirm gehangen hatte, hätte Kant durchs Unterholz kriechen müssen; das wollte er nun doch nicht.

Noch dazu wo er kein Zimmer bekommen hatte. Kant spürte wieder die Angst, die er damals gehabt hatte.

Das hilflose Gezappel des blutenden Soldaten und sein qualvolles Gestöhne hatten sich in sein Hirn eingebrannt.

Er schrie auch und rannte um Hilfe. Vielleicht hatte der Soldat das ja mitbekommen. Egal!

Johannes lief nicht zu seinen Eltern sondern zu Elsbeth. Die Eltern durften nicht wissen, dass er so spät noch im Wald gewesen war. Elsbeth musste dem Soldaten helfen! Sie konnte das, weil sie alles konnte! Sie dürfte aber mit niemanden darüber reden, hatte er ihr aufgetragen, was ein fataler Fehler gewesen war, denn seither war sie verschwunden. Sie war nie wieder aus dem Wald, in den er sie geschickt hatte, zurückgekommen…

Vielleicht war es ja dieser Ahornbaum da vorne, an dem er nach ein paar Wochen das Stück zerschlissene Fallschirmseide gefunden hatte. Seltsam verschlungen an dem damals noch kleinen Strauch, der dieses Stück Seide,

auf dem noch Blut war, wie auf dem Bild in der Galerie, drohend zu schützen schien. Auch an den gekräuselten Faden erinnerte er sich: aufgeregt flatterte der im Wind, als hätte er etwas Wichtiges mitzuteilen. Für Kant war das damals ein Zeichen gewesen, das er aber für sich behielt. Seine Eltern hatten ihm verboten darüber zu reden. Vorkommnisse mit russischen Soldaten wurden als Geheimsache behandelt. Da schwieg man besser. Alle hatten Angst. Vor den Russen und den Genossen!

Kant hatte oft an dieser Stelle auf Elsbeth gewartet. Genau wie heute hatte er immer wieder gehofft, sie doch noch zwischen den Bäumen zu entdecken.

Aber da flog nur dieser nervige Häher herum!

Enttäuscht und innerlich leer ging Kant noch einmal zum Hotel. Warum? Er wusste es nicht. Genau wie damals, als er abgehauen war! Da hatte er auch nicht gewusst, was er tat. Er war einfach gegangen.  Mit seinem Freund Erwin. Ohne sich von seinen Eltern zu verabschieden. Er hatte sie nie wiedergesehen.

Von der angesprochenen Reisegruppe war bei seiner Rückkehr auf den Parkplatz weit und breit nichts zu sehen.

Und die Hotelchefin war immer noch nicht da! Aber er verspürte keinerlei Lust das näher zu ergründen; er wollte nur weg.

Als Kant das Hotel verließ, spürte er, dass ihn jemand beobachtete; irgendwie glaubte er auch zu wissen, dass es nicht die Schöne im roten Kleid war. Er drehte sich aber nicht um…

Verstört fuhr er nach Berlin zurück und gab sein Auto ab.

Die komische Galerie mit dem seltsamen Bild fand er auch nicht mehr. Pech für Onkel Paul – jetzt musste der noch länger auf sein bereits avisiertes Geschenk warten!

Gott sei Dank konnte er wenigstens in der Nacht noch nach Frankfurt zurückfliegen. Aber die Frage, wer ihn da beobachtet haben könnte, als er zu seinem Auto gegangen war, beschäftigte ihn noch wochenlang…

 

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