Selbstbetrachtungen

Diese Texte von Mark Aurel habe ich heute am Samstag Morgen in Bayern 2 im „Bayerischen Feuilleton“ gehört. Sie waren – wundervoll gelesen von Martin Hofer – der rote Faden in einer Reportage zu Bayerisch-italienischen Ansichten. Die Texte haben mir aus dem Herzen gesprochen. So habe ich sie mitgeschrieben und veröffentliche sie in der Reihenfolge, wie sie in der Sendung geordnet waren, hier in IF-Blog:

Objektivität, die eine Wahrheit, gibt es nicht. Alles ist subjektiv. Alles ist Anschauungssache. Aber wahrnehmen sollte man alles was es gibt. Man kann nicht sagen, ich will jetzt nur das, was grün ist, dann wäre man ein Fall für den Augenarzt. Auch für alles was man hören und riechen kann, müssen wir empfänglich sein. Wir sollten auf alles, was es gibt, gefasst sein.

Vergiss nicht, Dir bei Delikatessen und ähnlichen Speisen vorzustellen, dass dies die Leiche eines Fisches, jenes die Leiche eines Vogels oder eines Schweines ist. Und dass der Falerme der Saft einer Traube ist. Schau Dir alles, was Du wahrnimmst genau an. Wie ist es, warum ist es so? Was verfolgt es für einen Zweck? Stell Dir diese Fragen auch, wenn Du es mit Menschen zu tun hast.

Akzeptiere die Umstände, in Du hinein geboren bist. Die Menschen, mit denen das Schicksal Dich zusammengeführt hat.

Akzeptiere, respektiere und achte die Menschen. Und liebe sie vielleicht auch – aber aufrichtig. Dich selbst aber mache weder zum Herrn noch zum Sklaven von irgend jemanden.

Wenn mich einer verachtet, soll er das tun. Es ist seine Sache. Meine Sache aber ist es, nicht zu tun oder zu sagen, was Verachtung verdient. Wenn mich einer hasst, so ist das auch wieder seine Sache. Meine Sache ist es dagegen, allen Menschen gegenüber liebenswürdig und wohl wollend zu sein, besonders dem gegenüber, der mich verachtet und hasst. Ich will ihn auf seine Verfehlung hinweisen, aber ohne ihn zu beschimpfen. Und ich will meine Nachsicht ihm gegenüber auch nicht zur Schau tragen, sondern aufrichtig und gutherzig zu ihm sein.

Es ist doch ganz leicht, alles Verdrießliche von sich abzuwehren. Und wieder absolut gelassen zu sein.

Willst Du Dir etwas Gutes tun, so schau auf die Vorzüge Deiner Zeitgenossen. Bewundere bei dem einen Tatkraft, beim anderen die Bescheidenheit, beim Dritten die Freigebigkeit und beim vierten wieder eine andere Tugend, denn nichts erfreut einen so sehr, wie all diese Tugenden, die übrigens reichlich vorkommen. Du musst sie nur sehen wollen.

Ein Zweig, der von seinem Nachbarnzweig losgehauen wird, ist damit notwendigerweise auch vom ganzen Baumstamm losgehauen. So hat sich wohl auch ein Mensch, der sich von einem anderen Mitmenschen lossagt, von der ganzen menschlichen Gesellschaft losgesagt. Den Zweig hat wenigsten eine fremde Hand abgehauen, aber der Mensch, der von Hass getrieben wird,  trennt sich selbst seinem nächsten und von der Gesellschaft.

Wenn mir einer überzeugend nachweist, dass ich nicht richtig urteile oder handele, so will ich es mit Freuden anders machen. Denn ich bin ja auf der Suche nach der Wahrheit und nach der Gerechtigkeit. Durch sie hat noch nie jemand einen Schaden erlitten. Wohl aber erleidet derjenige einen Schaden, der stur auf seinem Irrtum und auf seiner Unwissenheit beharrt.

Wer kann schon die Grundsätze der Leute ändern. Und was bringt schon eine Veränderung, wenn diese Grundsätze nicht geändert werden? Höchstens eine Knechtschaft unter Seufzen, einen erheuchelten Gehorsam.

Ich selbst verstehe mich als vernünftigen Menschen. Als einen, der sich um das Gemeinwohl verdient machen will. Meine Heimatstadt und mein Vaterland ist Rom. Aber als Mensch ist meine Heimat die Welt. Was für diese gut ist, ist auch für mich gut.

Aus den Selbstbetrachtungen von Mark Aurel (* 26. April 121 in Rom; † 17. März 180 in Vindobona oder eventuell Sirmium).

Mark Aurel war von 161 bis 180 römischer Kaiser und der letzte bedeutende Vertreter der jüngeren Stoa. Als Princeps und Nachfolger seines Adoptivvaters Antoninus Pius nannte er sich selbst Marcus Aurelius Antoninus Augustus.

Soweit Mark Aurel. Ist das nicht großartig? Jeder Satz ist es wert, immer wieder gelesen zu werden.

RMD

P.S.
Die ganze Sendung gibt es bei Bayern2.de als Podcast zum herunterladen. Ich habe sie gespeichert und teile sie gerne. Sie ist es wert, angehört zu werden.

5 Antworten

  1. Danke Roland für den Post und den Hinweis auf den Podcast. Ich finde Mark Aurel großartig, aber auch die ältere Stoa. Ich wünschte mir, dass die Grundpfeiler der Stoa (Ataraxia, Autarkia, Apathia), in die Moderne umgesetzt und beispielsweise für die Therapie von sehr agggressiven, aber intelligenten Patienten nutzbar gemacht wird. Es gibt Versuche, die aber – wie ich finde – mißlungen sind. Falls Du – oder irgendjemand im IF-Blog – von einem gelungenen Versuch hörst, bitte den Tipp an mich weitergeben. Ein befreundeter Therapeut versucht es bereits mit Mark Aurel, bräuchte aber noch mehr.

  2. Ja Detlev!

    Mark Aurel ist großartig. Er hat schon alles gebloggt, pardon geschrieben, was es zu sagen gibt. Wir sollten eigentlich aufhören …

  3. Habe mir Marc Aurel bei Dir ausgedruckt, Podcast runtergeladen und beim Unkrautrupfen angehört. Marc Aurel hat alles gesagt, was es zu sagen gibt. Schluss.

  4. Na klar habt Ihr Recht Leute!!!

    Leider klingt das alles aber wie die Sonntagmorgenpredigt, die ich als Kind immer ausgelassen habe um Fussball zu spielen. Detlev sollte das mal auf seine Weise texten (siehe Radiophilosophie…)

    Schönen Sonntag noch, beim Frühschoppen nach dem Gottesdienst und drückt unserem Jo Wilfried die Daumen heute nachmittag, Youzny ist ein harter Brocken.

    Hoch solln sie leben, die Sandplätze von Roland Garros!!!

  5. Marc Aurel seems to have been almost too good for this world. Perhaps if he had been more cynical he would have done a better job of finding a successor. You see I am eager to defend us cynics.

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