Unternehmertagebuch #78 – Ich stell mir mal vor, ich wär ein Professor …

… und kein von Zahlen getriebener Unternehmer.

Ab und zu habe ich die Nase voll vom Unternehmertum. Dann träume ich, ich wäre etwas ganz anderes. Ein Fußballstar oder Pop-Musiker. Oder ein Formel-1-Fahrer. Liegt mir aber eigentlich auch alles nicht. Erfolgsautor oder Filmemacher würde mir schon besser gefallen. Ist aber eine Illusion.

Dann stell ich mir vor, ich wäre ein Professor, mit einem eigenen Lehrstuhl und einem tollen Forschungsgebiet. Sagen wir Zukunft oder so etwas. Das würde mir passen. An der Hochschule wäre ich frei. Da hätte ich keine Pläne, Zahlen oder Ziele, die ich mir zuerst aushecken und dann erreichen muss. Keine Existenzängste und Rendite-Sorgen.

Ja, als Professor hätt ich es gut. Könnte mich ausschließlich um das kümmern, was mir wichtig ist: Meine Studenten und meine Forschung. Und ab und zu mal ein Frei-Semester zum Forschen und Reisen. Traumhaft!

Als Unternehmer würde ich mich ja auch viel lieber um die Mitarbeiter, Kunden, Partner und Lieferanten kümmern. Aber das geht ja nicht. Ich muss ja dauernd Budgets und Pläne machen, Kennzahlen aller Art ermitteln und mich um die Bilanz und G&V sorgen.

Aber geht es einem Unternehmer wirklich so viel besser? Vergleichen wir mal das Leben von

Professoren an Universitäten

und

Vorständen in Unternehmen.

Das ist zulässig, denn so ein Lehrstuhl an der Uni ist vergleichbar mit einem Unternehmen der Wissensbranche. Der Lehrstuhlinhaber (Professor) entspricht dem Unternehmer (Vorstand, Geschäftsführer). Mitarbeiter hat er auch und die Kunden sind die Studenten (und die Industrie ?).

Ein Unternehmen wird am Umsatz und Gewinn und deren Wachstum gemessen. Woran misst man die „Performance“ oder Leistung eines Lehrstuhls? Lasst uns mal überlegen: Welche Kriterien könnte man für die Leistung eines Lehrstuhls und seines Professors anwenden?

  • Die Anzahl der Studenten, die die Vorlesung und Übungen besuchen.
    Je mehr Studenten, desto besser. Da stellen sich aber noch Fragen: Was ist die Basis für diese Rechnung, die „eingeschriebenen“ oder „die tatsächlich“ in der Vorlesung sitzenden? Zählen die auch, die sich die Vorlesung im Internet anschauen oder daheim im Buch nach lernen?
    Wie ist es zu bewerten, wenn die Studentenzahl sinkt? Welche Rolle spielt die allgemeine Entwicklung (Geburtenrückgang, fachliche Trends)?
    Spielt der Anteil ausländischer Studenten eine Rolle bei der Bewertung? Die Quote von weiblich zu männlich? Gibt es da eine Gewichtung?
  • Die Menge von abgelegten Scheinen und die Noten von Prüfungen.
    Auch hier könnte man verfeinern. Bonuspunkte vielleicht für freiwillige oder interdisziplinäre Scheine. Die Noten in den Haupt- oder Nebenfächern? Welche Gewichtung?
  • Die Anzahl der Mitarbeiter, die im Lehrstuhl beschäftigt sind.
    Vielleicht wäre hier auch noch der Altersdurchschnitt und die Frauenquote für die Bewertung relevant.
  • Die Anzahl der am Lehrstuhl betreuten Diplom- und Doktorarbeiten.
    Soll man nur die werten, die jedes Jahr fertig werden? Oder muss man gar noch die Note kombiniert mit der Dauer der Arbeit berücksichtigen?
  • Die Anzahl der Veröffentlichungen des Lehrstuhls.
    Misst man dann Anzahl der Beiträge oder Summe der Seiten? Muss man dann auch noch den Stellenwert des Journals, in dem sie veröffentlicht wurden und den Stellenwert des Journals gewichten?
  • Die Summe der akquirierten Drittmittel.
    Dies könnte ja auch ein ganz einfaches Kriterium zur Bewertung der Performance eines Lehrstuhls sein. Je mehr US-Dollar oder EURO, desto besser. Wie stark geht dieses Kriterium in die Gesamtbewertung ein?

Ganz einfach – man verfeinere dieses Regelwerk noch ein wenig, erstelle dann ein filigranes Bewertungsschema. Dann wird addiert und saldiert und heraus kommt eine „Uni-Bilanz“,das Gegenstück zur Bilanz des Unternehmens. Dann wird über die Jahre verglichen – und natürlich Wachstum gefordert, qualitativ und quantitativ.

Das klingt doch auf dem ersten Blick ganz vernünftig. Dies wird so aber nicht funktionieren. Eigenartige Folgen werden sich ergeben, die Qualität des Lehrstuhls sich aber verschlechtern (es sei denn, die neuen Regeln werden von den handelnden Personen unterlaufen).

Denn der Professor und die Menschen am Lehrstuhl müssten ihre Aktivitäten ganz gezielt steuern, um den Messkriterien zu genügen. Das passiert übrigens heute schon und führt zu einer Inflation von Doktorarbeiten an manchen Unis. Veröffentlichungen werden wichtiger als die Ergebnisse – wie so oft scheint die USA hier das führende schlechte Beispiel zu sein.

Jetzt könnte man einen „alternativen Professor“ (wie einen „alternativen Unternehmer“) fordern. Seine Klasse stellt sich anders da. Er muss doch nur gut forschen und lehren und die Menschen im Lehrstuhl vernünftig führen. Einfach dafür sorgen, dass man bei ihm viel lernt und seine Kunden (die StudentInnen) zufrieden sind. Dann wird seine Wertschätzung steigen und sein Ansehen und Ruf wachsen.

Aber oh Schreck, fängt man nicht an, mit „Exzellenz-Offensiven“ die Lehrstühle jetzt so ähnlich wie beschrieben zu vermessen? Denn die Universitäten werden gezwungen wie Unternehmen zu denken.

Da denke ich mir:

Muss man diesen Blödsinn von den Unternehmen jetzt auch noch in die Hochschulen abbilden?

Sollte man an der Hochschule wie beim Unternehmen nicht darauf verzichten, die Wirklichkeit in Zahlen abbilden zu wollen? Braucht man die vielen Chefübersichten und Spreadsheets? Die vermeintlich präzise Messung von Qualität? Und meinen dass man daraus folgend die richtigen Entscheidungen und Planungen für die Zukunft ableiten könnte?

Das ist doch eine mehrfache Verschwendung. Zuerst wird alles gemessen. Dann investiert man die wertvolle Zeit in die Planung. Und anschließend misst man wieder und sucht man die Gründe für die Abweichung. Und muss die dann auch noch clever rechtfertigen. Das alles ist für die Katz, weil man halt so nur einen schönen Anschein bewirkt. Nach dem Motto „Außen Hui, innen Pfui“.

Wäre es nicht besser, wenn sich die Führungskräfte im Unternehmen und an der Hochschule auf die Arbeit mit den Menschen innerhalb und außerhalb des Unternehmens konzentrieren könnten? Produkte und Märkte entwickeln und sie ihre Zeit in die Weiterentwicklung von Angebot und Forschung investieren? Die Bereitschaft zur Veränderung fördern und den Raum für die guten Ideen schaffen? Sich um Realitätsnähe bemühen, dem guten Menschenverstand folgen, auf sparsame Haushaltsführung achten und sich für die Kultur in dem sozialen System, für das sie verantwortlich sind, engagieren würden?

Und an Stelle der Erfüllung von oft sehr vereinfachten Kriterien in magischen scorecards nach zu laufen sich um die Entwicklung des ganzen kümmern würden? Die „Zahlen“ würden dann automatisch besser werden.

Einen Unterschied könnte es aber noch geben:

Unternehmen müssen immer wachsen, immer mehr Umsatz und Gewinn machen. So die Denke.

Gilt das auch schon für die der Lehrstühle der Professoren auch schon? Dann müsste ein guter Professor ja jedes Jahr immer mehr Studenten, Assistenten, Doktor- und Diplomarbeiten, Veröffentlichungen usw. haben. Bis der Hörsaal platzt.

Ich meine, dass Unternehmen wie Hochschule in erster Linie nicht nach Wachstum sondern nach kontinuierlicher und nachhaltiger Verbesserung streben sollten. Die Qualität vor die Quantität und den Wert vor Masse setzen. Das ist schon Herausforderung genug.

Denn für Unternehmer gilt doch dasselbe wie für Professoren: Wenn sie einen guten Job machen, dann entwickelt sich der Umsatz positiv und die Ergebnisse auch. Ganz von selbst.

Deshalb, liebe Unternehmer, analysiert nicht tagelang Eure BWA, Kostenstellen, Chefübersichten und Bilanzen. Aus den Zahlen wie aus Kaffeesatz kann man nicht lesen, was bei einem Unternehmen falsch läuft! Sondern nutzt die Zeit fürs Geschäft, die Kunden und die Mitarbeiter!

Und Ihr, liebe Professoren macht es genauso. Lasst Euch von den Scorecards der Ministerien nicht beeindrucken. Steigert die Qualität Eurer Forschung und Lehre an Eurer Hochschule , kümmert Euch um die Menschen und die Universität. Und vergesst die Kriterien und das Wachstum.

Einfach für die Zukunft! Dann werdet Ihr und wir immer besser werden und der Erfolg wird sich auf vielen Ebenen ganz von selbst einstellen.

Allerdings stelle ich fest, dass die Situation zwischen Unis und Unternehmer immer ähnlicher wird. Und dann bleibe ich lieber doch Unternehmer.

RMD

P.S.
Alle Artikel meines Unternehmertagebuchs findet man in der Drehscheibe!

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