Unternehmertagebuch #71 – Über die Notwendigkeit von unvernünftigen Entscheidungen

Große Konzerne wie z.B. die Siemens AG verfügten in den letzten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts (Jahrtausends) über alle nur denkbaren Ressourcen. Im Unternehmen gab es beliebig viel Kapital und die besten Ingenieure der Welt waren hier zu Hause. Das Image war exzellent, die Marktzugänge optimal und die weltweite Vernetzung in Politik und Wirtschaft perfekt.

Trotzdem sind diese alten und ehemals so mächtigen Unternehmen in vielen Segmenten, die sie früher dominiert hatten, nicht mehr existent. In den wenigen Bereichen, die ihnen noch geblieben sind, werden sie arg bedrängt. um Teil droht ihnen auch dort mittelfristig die Bedeutungslosigkeit.

Gleichzeitig sind junge Firmen entstanden, von denen manche gerade mal ein paar Jahrzehnte weniger alt sind. Und die haben mit hohem Tempo den alten und ehemals so mächtigen Unternehmen den Rang abgelaufen. Eine wie ich finde faszinierende Entwicklung. Was ist da bloß passiert?

Mir fällt auf, dass diese Unternehmen mit großer Stringenz versucht haben, nur „vernünftige Entscheidungen“ und „vernünftige Handlungen“ zuzulassen. Mit hoher Systematik wurden die Organisationen förmlich darauf ausgerichtet, „unvernünftige Entscheidungen“ soweit wie irgendwie möglich unmöglich zu machen.

Die neuen Firmen wie Amazon, Apple, Cisco, Ebay, Facebook, Google, Microsoft, Oracle und viele mehr, ja sogar SAP haben dagegen wesentlich von ihren „unvernünftigen Entscheidungen“ profitiert.

Das organisierte „Nicht-Zulassen“ von „unvernünftigen Entscheidungen“ dürfte eine relevante aber nicht die einzige Ursachen des Niedergangs von Unternehmen sein. Da kommt vieles zusammen, das auch wohl zusammen gehört. Mir fällt ein:

  • ein überholtes Verständnis von Management (Hans Ulrich hat schon in den 80igern des letzten Jahrhundert in St. Gallen den „Wandel im Management“ gefordert),
  • die mangelnde Fähigkeit zur Veränderung (Kreativität, Innovation, Zivilcourage, konstruktiver Ungehorsam, anders und neu denken oder erwünschte Kritik sind oft heute noch unerwünschte Ausnahmen),
  • eine Unternehmenskultur, die nicht mehr ins aktuelle Menschenbild passt (bessere Kantinen, Betriebsratsdenke und Plakate im Aufzug sind keine Kultur),
  • fragwürdige Dogmen, gebetsmühlenartig wiederholt und manifestiert  (Man muss immer Marktführer sein oder Mit Endgeräten kann man nichts verdienen),
  • falsche Zielsetzungen und in die Irre führende Zielvereinbarungen (oft müssen Mitarbeiter gegen ihre persönlichen Interessen arbeiten, wenn sie im Sinne des Unternehmens arbeiten).
  • ein falsches Projektverständnis (V-Modell, Wasserfall ohne Chance der iterativen Nachbesserung dank Dazu-Lernens, Overtooling an Stelle von Kaizen),
  • das Überlagern eines traditionell deutschen Unternehmens-Verständnis durch eine angelsächsische Unternehmens-Denke (Shareholder value wird oberstes Unternehmensziel),
  • eine verbreitete „biases“ im Management und Teilen des gesamten Unternehmens (Führungsebenen schotten sich vom Unternehmen ab, der Kontakt zur Basis geht verloren, irrationale Ängste und vermeintliche Bedrohungen entstehen) und nicht zuletzt
  • der Verlust von Ethik, gegenüber Kunden (unangemessen hohe Korruptionsquote), Lieferanten (Ausnutzen von Machtposition) und Mitarbeitern (Reduzierung von Menschen als Mittel zum Zweck).

Und wenn große Konzerne bei einigen dieser Punkte so ticken wie beschrieben, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie trotz einer hundertjährigen Erfolgsgeschichte in ganz kurzer Zeit ganze Märkte an junge Firmen verlieren.

RMD

P.S.
Alle Artikel meines Unternehmertagebuchs findet man in der Drehscheibe!

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