Unternehmertagebuch #75 – Besprechungen 2.0

Nach drei Jahren als Werkstudent bei Siemens bin ich (Diplom-Mathematiker univ. mit Nebenfach Informatik (TUM)) als  „Fest angestellter Mitarbeiter“ beim selben Arbeitgeber gestartet. Soll heißen, dass ich einen unbefristeten Angestelltenvertrag unterschrieben hatte.

Diese neue Situation bedeutete für mich eine engere Bindung an die Siemens AG als vorher. So begann ich, mich stärker für meine dortige Umwelt zu interessieren. Als erstes fiel mir die Dicke des Telefonbuches auf. Auch dass in den Führungsebenen der Doktortitel und Doppelnahmen öfters vor kamen als bei den „normalen Dienstgraden.

Aber auch, dass es im Organigramm 8 Führungsebenen über mir gab. Ich war ganz unten und acht Ebenen über mir. Das fand ich – jetzt als stolzer Frisch-Akademiker – ein wenig befremdlich.

Rechnerisch war es aber klar. Nehmen wir an, dass im Durchschnitt eine Führungskraft fünf Teams, Gruppen, Abteilungen, Hauptabteilungen, Bereiche etc. steuern kann.

Das ist eher viel. Damals bestanden die unteren Teams im Durchschnitt auch nur so um die fünf Mitarbeiter. Fünf hoch acht ist 390625. Eine Hauptabteilung bestand aber aus nur drei Abteilungen. Um 400.000 Menschen zu steuern braucht man dann einfach viele Hierarchie-Ebenen. Das Siemens von damals habe ich eher größer in Erinnerung.

Auch damals gab es schon viele Besprechungen. Auf meiner (der untersten) Ebene aber wurde gearbeitet. Da war keine Zeit für Meetings. Mein Chef, der Leiter unserer Gruppen, hat auch viel fachlich gearbeitet. Er musste aber schon auf diverse regelmäßige und spontan einberufene Meetings.

Der Chef meines Chefs (ein Hauptgruppenleiter) war auch noch fachlich verfügbar, aber schon deutlich mehr in Besprechungen als mein Chef. Den Leiter der Hauptgruppenleiter (die Bezeichnung im Organigramm weiß ich nicht mehr) sah man nur ab und zu, denn er war meistens in einer Besprechung.

Spätestens eine Etage höher kannte man die Leute nur noch vom Bild, denn persönlich sah man sie nur bei außergewöhnlichen Anlässen. Natürlich waren diese Herren (an Frauen kann ich mich in der damaligen Zeit in den „höheren Ebenen“ überhaupt nicht erinnern) dauernd auf Reisen und in Besprechungen.

Will sagen, früher galt: Je höher in der Hierarchie, desto mehr, je tiefer, desto weniger Besprechungen. Unten nahe 0%, oben mehr als 100 % der Arbeitszeit.

In der Summe war das nicht schlecht. Denn die große Masse hat ja gearbeitet. Die Besprechungen haben sich im wesentlichen auf den sogenannten „Overhead“ beschränkt. Die Führenden, die damals schon von Meeting zu Meeting gehetzt sind, hatten aber  noch exzellente Assistentinnen, die in meiner Anfangszeit noch Sekretärinnen hießen. Diese eigentlich immer Frauen haben ihre Chefs würdig im Unternehmen vertreten. So hat das System ganz gut funktioniert.

Den Unsinn mit einem automatischen Terminkalender gab es damals natürlich noch nicht. Und für jedes Meeting wurde ein präzises Protokoll mit einem ausgeklügelten Verteiler geschrieben, das sogar von ein paar Leuten gelesen wurde!

Heute ist es anders. Arbeitsteilung und Taylorismus ist bei Wissensarbeitern auf dem Rückzug. Die Arbeitswelt in den Unternehmen demokratischer. Hierarchien sind flach geworden. Sekretärinnen gibt es nicht mehr. Der „Overhead“ wurde „sozialistisch“ auf alle verteilt.

Das hat dazu geführt, dass alle Wissensarbeiter ihre Zeit dauernd in Besprechungen verbringen (müssen) und/oder mit formalen Dingen vertun. Deswegen arbeiten auch alle „wichtigen Leute“ immer 12 und mehr Stunden am Tag und fallen früher oder später dem Burnout zum Opfer.

Und der Overhead: der ist so wohl deutlich mehr geworden als damals vor 30 Jahren. Gute neue Zeiten. Wir strampeln uns ab, treten aber in Wirklichkeit viel zu oft auf der Stelle.

Vielleicht schafft ja „social media“ die Voraussetzungen, dass man viele Besprechungsstunden einsparen und trotzdem effizienter als in der alten Welt in den Projekten „an einem Strang“ ziehen kann. Und bringt uns auch wieder mehr Raum für unser eigenes und privates Leben und ermöglicht uns zumindest mehr Gemeinsamkeit.

Mir persönlich geht das so. Mit einfachsten Aktivitäten in Facebook erledige ich in Sekundenschnelle Aufgaben, die früher einen intensiven Dialog zum Beispiel mit dem Telefon erfordert hätten. Und viele meiner Freunde hätte ich ohne „die neue Welt“ gar nicht kennengelernt.

RMD

P.S.
Auch vor den Büros macht die Entwicklung nicht halt. Man vergleiche nur die Situation am Standort Hofmannstraße oder später in Neuperlach mit neuzeitlichen Bürogebäuden für Wissensarbeiter (wie bei BMW). Allein die Zunahme der Besprechungsräume und die Anordnung von Teams in Modulen ist bemerkenswert.

P.S.1
Alle Artikel meines Unternehmertagebuchs findet man in der Drehscheibe!

Eine Antwort

  1. Lieber Roland,
    du hast es wieder einmal auf den Punkt gebracht. Genauso habe ich Siemens auch erlebt. Viele haben viel gearbeitet, hatten aber trotzdem mehr Zeit als heute. Durch die ständige Erreichbarkeit wird es auch nicht einfacher.
    Was lernen wir daraus? Effizienz steigern durch weniger Meetings mit weniger Leuten aber auf höherer Ebene?

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